In einem schmalen Tal nahe des heiligen Berges führte einst ein Reiskoch ein kleines Gasthaus. Eines Tages betrat ein alter Mann mit zerzaustem Bart die warme Stube. Er war wohl schon weit gereist, denn seine Robe war dreckig von Schlamm und hier und da leicht eingerissen. Der Alte ließ sich in einen Stuhl fallen.
„Ich bin am verhungern“, keuchte er.
„Oh ein neuer Gast“, sagte der Koch erfreut.
Darauf meinte der Sohn des Kochs: „Eher ein Schnorrer.“
Er beäugte den Alten argwöhnisch und fragte: „Kannst du überhaupt bezahlen?“
„Ich bin ein armer Pilger. Leider kann ich nichts weiter, als ein Gebet offerieren“, antwortete der Alte.
„Davon können wir schlecht leb…“, begann der Sohn, wurde jedoch sogleich von seinem Vater unterbrochen: „Das ist mehr als ausreichend. Wie wäre es mit einer Reispfanne?“
„Sehr gerne. Ich möchte nicht wählerisch erscheinen“, antwortete der Pilger. Der Koch schnappte sich seinen Sohn und zog ihn mit sich in die Küche. Währenddessen flüsterte er ihm harsch zu: „Du weißt doch, der Gast ist stets König.“
In wenigen Minuten hatte der Koch ein leckere Reispfanne angerichtet. Er reichte dem Pilger die Schüssel und sagte: „Hier, das ist genau das, was du jetzt brauchst. Das gibt dir genügend Kraft für den weiteren Weg.“
Der Pilger bedankte sich. Dann faltete er seine Hände und schloss beide in sein Gebet ein. Erst danach begann er seine Mahlzeit. Als er die Schüssel geleert hatte, bedankte er sich erneut. Da meinte der Vater: „Wir haben zu danken. Es ist immer gut, wenn das Haus unter einem guten Stern steht.“
Einige Wochen später an einem regnerischen Tag bekamen sie von einem ganz besonderen Gast Besuch. Das Gasthaus war menschenleer, als aus heiterem Himmel der König höchstpersönlich eintrat. Seine glänzenden Gewänder ließen die einfache Einrichtung in einem ganz anderen Licht erstrahlen. Der Sohn des Kochs warf sich sofort auf die Knie und bot dem König den besten Platz an.
„Hoho, ich nehme lieber den hier am Fenster. Vielleicht lässt sich ja ein Eichhörnchen blicken“, antwortete der König.
„Sehr wohl“, sagte der Sohn demütig. Dann sprang er zu seinem Vater und erzählte hektisch, welche prächtigen Speisen sie alle auftischen sollten.
„Hast du den König denn gefragt, was er wünscht?“, wollte sein Vater wissen. Etwas verlegen schüttelte der Sohn den Kopf. Flugs ging er zurück und holte das Versäumnis nach, schien darüber aber nicht erfreut zu sein.
„Das geht nicht. Das können wir nicht machen“, sagte er zu seinem Vater.
„Warum denn? Verlangt er Zutaten, die wir nicht besitzen?“, fragte sein Vater.
„Nein, viel schlimmer. Er will nur das einfachste Gericht haben. Das kann nicht sein. Das ist sicher ein Test.“
Daraufhin sagte sein Vater: „Du weißt aber, was ich dir jeden Tag sage?“
Sein Sohn rollte mit den Augen, sagte aber nichts.
„Der Gast ist stets König“, sagte sein Vater. „Also tun wir auch genau das, was er wünscht, egal wer er ist.“
Wenige Minuten später kam der Koch an den Tisch des Königs und reichte ihm eine Schüssel.
„Hier, mein König. Genau wie Sie es sich gewünscht haben.“
„Vielen Dank. Darauf habe ich schon lange gewartet.“
Während der König sein Mahl zu sich nahm, standen Vater und Sohn am Rand und hofften, dass es ihm mundete.
Als der König das letzte Reiskorn verzehrt hatte, legte er seine Stäbchen beiseite und sagte: „Ich bin wirklich erstaunt. Es hat ebenso vorzüglich gemundet wie beim letzten Mal. Jemand der so etwas aus einem einfachen Gericht zaubern kann, muss wahrlich ein Meisterkoch sein.“
„Wie beim letzten Mal?“, fragte der Koch verwundert.
„Oh ja. Damals konnte ich nicht in Münzen zahlen. Deshalb sollt ihr diesmal umso mehr entlohnt werden. Mir würden mehr Menschen wie du in meiner Nähe guttun. Wieso wirst du nicht mein neuer Meisterkoch am Hof? Da wird es dir an nichts fehlen.“
Der Koch und sein Sohn waren völlig überwältigt und wussten zunächst nicht, was sie sagen sollten. Der König schaute sie voller Vorfreude an und ließ ihnen die Zeit, sich wieder zu sammeln. Dann verbeugte sich der Koch und sagte ruhig: „Es ist mir eine große Ehre, mein König. Das möchte ich wirklich betonen. Aber ich muss leider ablehnen.“
Der König riss erstaunt die Augen auf. Der Koch fuhr fort: „Eigentlich bin ich sehr zufrieden, wie alles ist. Wer würde hier sonst die ganzen hungrigen Pilger versorgen? Und jetzt wo uns der König höchstpersönlich beehrt hat, werden wir sicher noch mehr Gäste erwarten.“
Da antwortete der König ebenso ruhig: „Du bist wahrlich ein weiser Mann, aber…“
Der König sprang von seinem Stuhl auf und sagte forsch: „Dann möchte ich wenigstens ein Mal die Woche vorbeikommen und deine Kochkunst genießen.“
Bevor der Koch antworten konnte, fügte der König hinzu: „Keine Angst, ich werde nicht als König auftreten. Ihr werdet mich nicht einmal erkennen. Ich weiß ja, hier ist jeder Gast stets König.“
Ein breites Grinsen huschte über das Gesicht des Königs. Daraufhin schaute er eindringlich in die Runde und sagte: „Das bleibt aber unser Geheimnis.“
Der Koch und sein Sohn sowie die Diener des Königs nickten.