Der heimliche Beobachter

Angelehnt an die buddhistische Geschichte über Stehlen aus „Buddhism Key Stage One“ von Jing Yin Ken Hudson.

Einst zogen ein Vater und sein Sohn als fahrende Händler durchs Land. Der Winter brach an und die Geschäfte liefen entsprechend schlecht. Niemand konnte es sich in solchen Zeiten leisten teure Ware zu kaufen, auch wenn sie von besonders guter Qualität war. Der Tag kam, an dem sie sich die letzte warme Mahlzeit gönnten und ihr Geldbeutel keine einzige Goldunze mehr aufwies.
Seinen eigenen Hunger würde der Vater verdrängen können, den seines Sohnes jedoch nicht. So sah er sich gezwungen, in die Scheune des nahegelegenen Bauernhofes einzusteigen und Kartoffeln zu stibitzen. Trotz des Hungers beklagte sein Sohn: „Ich dachte immer, wir sollen nichts nehmen, was uns nicht gegeben wird?“
„Es heißt aber auch, wir sollen es nur vermeiden zu stehlen. Nicht dass man es unter keinen Umständen tun soll“, versuchte sich sein Vater zu erklären. „In manchen Situationen muss man die Konsequenzen abwägen und manchmal hat man nur die Wahl zwischen einer bösen und einer sehr bösen Tat.“
Mit diesen Worten sein eigenes Gewissen beruhigt, packte er sich einen Sack voll mit Kartoffeln. Dabei vergaß er, dass manchmal nur ein einziges Mal ausreicht, um sich eine neue Angewohnheit anzueignen. So stahl man auch ein zweites und ein drittes Mal und fand immer wieder einen neuen Grund, wenn der vorangegangene ausgedient hatte. Nach einiger Zeit war ihr Geldbeutel wieder gut gefüllt, doch die Angewohnheit blieb.

Eines Nachts, es war Frühlingsbeginn und der Himmel wolkenklar, da schlichen sich der Vater und sein Sohn auf ein Kartoffelfeld. Der Vater füllte gerade den Jutesack bis oben hin, da flüsterte ihm sein Sohn zu: „Papa, ich glaube, wir werden beobachtet.“
Der Vater zuckte erschrocken zusammen und ließ den Sack fallen. Ein dutzend Kartoffeln kullerten über den Boden. Völlig panisch schaute er sich um, konnte aber niemanden entdecken.
„Da schau“, sagte der Junge und zeigte in den Himmel. „Der Mann im Mond.“
Sein Vater gab ein tiefes, erleichtertes Seufzen von sich. Er hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Doch der Gedanke jemand schaue ihm tatsächlich beim Stehlen zu, löste große Scham in ihm aus. Was tat er da eigentlich, fragte er sich. Mit einem Mal erkannte er seine sündige Tat. Ihm wurde augenblicklich klar, dass selbst wenn er unentdeckt stahl, dies keinesfalls ohne Konsequenzen blieb.
Daraufhin besuchte er jeden von ihm einst heimgesuchten Bauernhof und zahlte jede gestohlene Kartoffel zurück. Auf diese Weise hoffte er auch, das durch ihn hervorgerufene Misstrauen wieder gutzumachen.

Seit jenem Frühling hat der Vater nie wieder darüber nachgedacht etwas zu stehlen und wenn man ihn diesbezüglich fragt, antwortet er gerne: „Wir sollten nie vergessen, dass unser Handeln immer beobachtet wird. Selbst wenn der Mann im Mond gerade blinzelt, es gibt immer jemanden, der zuschaut und das sind wir selbst.“

Der Fisch am Haken

Es war einmal ein gewöhnlicher Mann. Er hatte nie an Wunder geglaubt. Doch was sich die nächsten Tage ereignen würde, würde dies ändern. Am Ende eines längeren Arbeitstages kam er nach Hause, ließ sich ohne Umschweife ins Bett sinken und fiel sogleich ins Land der Träume.
Dort traf er seine wundervolle Frau. Zusammen spazierten sie einen Weg entlang, der sich durch das Herz eines großen Waldes schlängelte. Sie erzählten sich, was ihnen gerade in den Sinn kam, lachten und genossen den Spaziergang. Plötzlich sagte sie: „Wenn du mich wiedersehen möchtest, musst du lediglich an mich denken.“
„Das klingt ja, als würdest du gehen wollen“, wunderte er sich. Anstatt etwas zu sagen, lächelte sie nur. Mit einem Mal blieb sein Fuß an einer dicken Wurzel hängen. Er schaute hinunter und riss sie mit aller Kraft aus dem Boden. Als er wieder hochschaute, war die Frau verschwunden. Besorgt folgte er dem Waldweg. Vielleicht versteckte sie sich bloß hinter dem nächsten Baum. Doch bevor er die nächste Abzweigung erreichte, erschien aus dem Unterholz eine kleine Gruppe zwielichtiger Gestalten. Offensichtlich waren es Banditen, denn jeder von ihnen hatte entweder ein Messer oder Dolch in der Hand. Sie lachten den Mann hämisch an. Im nächsten Moment attackierten sie ihn.
In dieser Sekunde wachte er auf. Einerseits war er froh, auf der anderen Seite war er auch etwas enttäuscht. Trotz des aufwühlenden Traumes konnte er recht schnell wieder einschlafen, aber keine Träume folgten mehr in dieser Nacht.

Die Sirene läutete wie jeden Tag die Mittagszeit ein. Gelangweilt schlenderte er zur Essensausgabe. Da erinnerte er sich wieder, was sie im Traum zu ihm gesagt hatte. Er wollte sie unbedingt wieder sehen und so versuchte er sie die ganze Zeit in Gedanken zu behalten bis es schließlich Abend wurde. Er glaubte nicht wirklich, dass es funktionieren würde, doch das tat es.
Im Traum schritt er zunächst einen schmalen Trampelpfad entlang. Alsbald endete dieser an einer kleinen Holzhütte. Ohne darauf zu achten, was sich noch bei der Hütte befand, öffnete er die alte Tür und trat ein. Und tatsächlich, da war sie auf einem Sessel mitten im Raum und wartete nur auf ihn…

Die Träume waren jedes Mal gleich und dennoch genoss er sie immer mehr. Aber umso mehr er sich an ihnen erfreute, desto mehr missfiel ihm der Tag. Den ganzen Tag lang dachte er nur noch an sie. Er dachte, das Einzige, was ihn glücklich machen könnte, wäre sie, obwohl ihm bewusst war, dass er sie nie wieder wirklich treffen wird können. Mit der Zeit wurde es schlimmer. Schnell war er am Tag verärgert und trübsinnig. Er störte sich an allem, was ihm widerfuhr. Nun wollte er nicht mehr warten, bis es Abend wurde. Sobald er von der Arbeit nach Hause kam, legte er sich ins Bett und versuchte einzuschlafen.
Der darauffolgende Traum war anders als die anderen. Als er dieses Mal die Holzhütte erreichte, stand jemand neben der Tür, den er zuvor nie bemerkt hatte. Es war ein alter Mönch. Während er die Tür öffnete, sagte der Mönch: „Weißt du, warum dein Geist gefangen ist wie ein Fisch am Haken?“
Der Mann beachtete den Mönch kaum und trat ein…

Einige Tage später stand er am Bahnhof und wartete auf den Feierabendzug. Da fiel ihm die Frage des Mönches wieder ein und wollte nicht so recht aus seinem Kopf. Zuerst dachte er, es ist klar, dass der Fisch gefangen wird, weil er hungrig ist und nach dem Köder schnappt. Sein Fehler ist also etwas zu essen? Aber wenn er nichts isst, wird er ebenfalls sterben. Also wie sollte ihm das bitte helfen? Plötzlich realisierte der Mann, dass hungrig zu sein etwas ganz Natürliches und nichts Verwerfliches ist. Der Fisch wird nicht wegen dem Köder gefangen, sondern weil er an diesem festhält und nicht mehr loslässt. Da wusste der Mann, dass es nicht mehr nötig war ständig an sie zu denken. Mit dieser Erkenntnis begannen sich seine Gedanken sogleich zu beruhigen und für einen Moment konnte er die Stille sogar genießen.

Wenn er nun ab und an von ihr träumt, kann er sich ohne Bedauern an ihrer Gesellschaft erfreuen. Am Morgen wacht er dann mit einem zufriedenen Lächeln auf und schaut gen Himmel.

Schokolade

Die Inspiration zu dem Gedicht bekam ich beim Lesen von „Fundamentals of Buddhism“ von Peter d. Santina.

Das ist aber Schade
Hattest noch nie Schokolade
Lass es nicht dabei bleiben
Lass es dir nicht unter die Nase reiben
Lass es dir ausführlich beschreiben
Lass ein Studium darin betreiben

Doch solang‘ du nicht von probiert
Bist wie ein Spiegel, der nur reflektiert
Hast keinen Schimmer vom Geschmack
Weißt so viel wie ein leerer Sack

Erst wenn du sie in den Mund steckst
Den Schmelz auf der Zunge schmeckst
Sie genüsslich verzehrst
Das Papier vollkommen leerst
Erst dann kennst du sie wie ich
Und Weisheit durchströmt dich