Wie lang wäre ein Roman über ein ganzes Menschenleben?

Stell dir vor, man würde dein komplettes Leben als Roman niederschreiben. Alles, was du erlebst, dabei denkst und fühlst. Wie viel Romanseiten würde das wohl füllen und welche Ausmaße würde ein gedrucktes Exemplar annehmen?

Inhalte

1. Definition eines Lebensromans
2. Lesegeschwindigkeit
3. Verfügbare Lebenszeit
4. Wie viele Wörter hat eine Romanseite?
5. Maße des Lebensromans
6. Die ganzen Ausmaße eines Lebensromans
7. Fazit
8. Quellen

Definition eines Lebensromans

Da wir unsere Erlebnisse meist in einer Art eindimensionalem Strom an Eindrücken wahrnehmen, soll unser Lebensroman dies ebenfalls so abbilden. Dafür definieren wir, dass im Groben und Ganzen die erzählte Zeit gleich der Erzählzeit sein sollte. D.h., die erlebte Zeit sollte mit der Zeit übereinstimmen, die man benötigt, um den entsprechenden Abschnitt zu lesen. Wenn man also deinen kompletten Lebensroman lesen wollen würde, wäre man damit dein ganzes Leben lang beschäftigt. Auf diese Weise können wir zum einen die Randbedingungen relativ genau definieren, zum anderen können wir ausschließen, dass ein allwissender Erzähler endlose Seiten mit Beschreibungen über Wangenknochen füllt.

Wenn wir die Größe eines Lebensromans ermitteln wollen, müssen wir laut dieser Definition lediglich berechnen, wie viel man lesen könnte, wenn man sein komplettes Leben damit verbringen würde. Dafür benötigen wir die durchschnittliche Lesegeschwindigkeit und Lebenserwartung eines Menschen sowie bestimmte Eigenschaften eines typischen Romans wie z.B. die Wörteranzahl pro Seite.

Lesegeschwindigkeit

Die Lesegeschwindigkeit ist von vielen Parametern wie Alter, IQ, Vorwissen, Textkomplexität, aber vor allem von der Leseerfahrung abhängig. Ungeübte Erwachsene lesen etwa mit einer Geschwindigkeit von 100 Wörter pro Minute. Schnelle geübte Leser können dagegen bis zu 1000 Wörter pro Minute bewerkstelligen. Für uns ist jedoch die durchschnittliche Lesegeschwindigkeit von geübten Lesern mit 200 bis 300 Wörtern pro Minute relevanter, da diese ungefähr mit der erlebten Zeit im Roman übereinstimmen sollte.

Verfügbare Lebenszeit

Wenn man in Deutschland im Jahr 2021 geboren wurde, liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei ziemlich genau 81 Jahren (+2,4 für Frauen, -2,4 für Männer). Bei 365,25 Tage pro Jahr (0,25 für das Schaltjahr) kommt man so insgesamt auf 29.585 Tage. Davon steht uns aber nicht die volle Zeit zur Verfügung. Schließlich benötigen wir Schlaf und davon nicht zu knapp. Durchschnittlich sollten es schon acht Stunden sein. Die verlieren wir jedoch nicht komplett, da wir unsere Träume nicht vergessen dürfen. In denen können wir zwar kein Buch lesen, aber das Erlebte darf in unserem Lebensroman natürlich nicht fehlen und muss demnach ebenso berücksichtigt werden.

Mittlerweile weiß man, dass wir nicht nur im REM-Schlaf (mit einem Anteil von 20-25% des Gesamtschlafes) träumen, sondern auch im Non-REM-Schlaf und somit der Traumanteil deutlich höher sein muss, als früher gedacht. Als grobe Schätzung gehen wir einmal von 50% bzw. 4 Stunden aus. Dass wir uns häufig nicht mehr an unsere Träume erinnern, zeigt lediglich unsere Unzulänglichkeit und spielt dabei keine Rolle.

Bei dieser Betrachtung lassen wir zudem außen vor, dass wir beispielsweise als Säugling oder Kleinkind deutlich mehr Zeit mit Schlafen verbringen. Ebenso bleibt die Zeit vor unserer Geburt unberücksichtigt.

Summa summarum stehen uns somit für einen Tag 20 Stunden zur Verfügung. Bei 81 Jahren sind das zusammen 591.705 Stunden oder rund 35,5 Millionen Minuten, ehe der Sensenmann anklopft.

Wie viele Wörter hat eine Romanseite?

Normseite

Um den Umfang von Texten abzuschätzen, kann die sogenannte Normseite verwendet werden. Diese ergibt sich aus der Festlegung von 30 Zeilen mit bis zu 60 Anschlägen inklusive Leerzeichen. Damit sind maximal 1800 Zeichen möglich.

Wie viel Wörter es in der Praxis genau sind, hängt von mehreren Faktoren ab wie der Sprache, Textkomplexität und vor allem von der Anzahl an Zeilenumbrüchen durch z.B. wörtliche Rede. Es hat sich gezeigt, dass bei realen deutschen Texten im Durchschnitt nur 83% der maximalen Zeichen ausgenutzt werden. Deshalb hat die Verwertungsgesellschaft Wort eine vereinfachte Version der Normseite mit 1500 Zeichen festgelegt.

Durchschnittl. Wortlänge und Wörter pro Normseite

Mit dem Duden als Grundlage liegt die durchschnittliche Wortlänge in der deutschen Sprache bei 10,6 Buchstaben. Wenn man aber bedenkt, dass kürzere Wörter viel häufiger verwendet werden, kommt man mithilfe des Dudenkorpus auf eine durchschnittliche Wortlänge von 5,99 Buchstaben. D.h, bei 60 Anschlägen geteilt durch 7 (6 plus 1 Leerzeichen) ergibt das unter nicht Berücksichtigung von zusätzlichen Satzzeichen 8,57 Wörter pro Zeile und somit 257 Wörter pro klassischer Normseite. Bei einem realen Text wären es bei einer geringeren Ausnutzung des Platzes von 83% lediglich 214 Wörter pro Normseite.

Wörter pro Seite bei einem realen Roman

Wenn du dir ein paar deiner Romane aus dem Bücherregal holst und nachschaust, wirst du feststellen, dass die Zeilenanzahl und die Zeichen pro Zeile oft mehr als die einer Normseite aufweisen und von Buch zu Buch teilweise sehr unterschiedlich ausfallen. Dafür wird, wie bereits erwähnt, der Platz häufig nie komplett ausgefüllt und auch dabei ist die Varianz manchmal groß. Wie zu erwarten war, gibt es den einen typischen Roman schlicht nicht. Es ist demnach kein Wunder, dass man im Netz meist unterschiedlichste Zahlen zu dem Thema findet.

Da die meisten Romanseiten größer als eine Normseite sind, können wir diese als untere Grenze annehmen. Für die obere Grenze gehen wir von 38 Zeilen, 10 Wörter pro Zeile und einer Platzausnutzung von 92% aus. Die wenigsten Romane werden darüber liegen. Damit erhalten wir für die allermeisten gedruckten Romane einen Bereich von rund 200 bis 350 Wörter pro Seite.

Maße des Lebensromans

Wie auf den ersten Blick erkennbar, fallen die Unterschiede zwischen vorkommenden Buchmaßen sehr groß aus. Scheinbar jede neue Buchreihe muss sich dabei von den bereits existierenden absetzen. Wir sind hier also in unserer Wahl relativ frei. Für unseren Lebensroman nehmen wir daher ein schönes und gut zu lesendes Hardcover-Format mit einer Breite von 14 cm und einer Länge von 21 cm an.

Da ein endlos dickes Buch zum Lesen ungeeignet ist, soll unser Lebensroman eine Buchreihe werden und jedem Buchband 1000 Seiten zur Verfügung stellen. Diese beachtliche Seitenzahl erscheint passend zu so einem kolossalem Werk. Außerdem lässt es sich damit später einfacher rechnen ;D

Auch bei der Seitendicke unterscheiden sich Romane teilweise stark. Während z.B. ein Roman mit 4,3 cm Dicke auf 460 Seiten kommt (9,3 cm bei 1000 Seiten), kann ein anderer mit 5,5 cm Dicke ganze 1260 Seiten aufweisen (4,4 cm bei 1000 Seiten). Wenn wir also nicht das dickste Papier, aber auch kein Seidenpapier in der Hand haben wollen, können wir für unsere 1000 Seiten gut und gerne 6 cm als Dicke wählen.

Die ganzen Ausmaße eines Lebensromans

Grundlage

Ausgehend von den zuvor ermittelten Daten können wir für die Berechnung Folgendes als Grundlage annehmen:
• Lesegeschwindigkeit: 250 Wörter pro Minute
• Lebenszeit: 35,5 Millionen Minuten
• Wörter pro Seite: 300
• Zeichen pro Wort: 7 Zeichen (6 plus 1 Leerzeichen)
• Maße eines Buchbandes: 14 x 21 x 6 cm bei 1000 Seiten

Hinweis: Die gewählten Zahlen sind nur Richtwerte, könnten also auch in einem gewissen Rahmen anders gewählt werden. Das Entscheidende bei den daraus folgenden Ergebnissen sind schließlich nicht die exakten Werte, sondern welche Größenordnungen wir am Ende erreichen.

Analoge Ausmaße

Aus der Lesegeschwindigkeit und der verfügbaren Lebenszeit erhalten wir für unseren Lebensroman die gigantische Zahl von 8,9 Milliarden Wörtern. Zusammen mit 300 Wörtern pro Seite bilden diese ca. 29,6 Millionen Seiten und damit 29.583 einzelne Buchbände. Das entspricht ungefähr dem kompletten Bestand einer typischen Stadtbibliothek in Deutschland.

Wenn wir all diese Bücher jeweils mit der Buchrückseite auf die Buchvorderseite aufeinander stapeln, entstünde ein Turm mit einer Höhe von 1775 Metern. Dichtgedrängt in einem riesigen Bücherregal mit 91 Reihen, 325 Büchern pro Reihe und einer Regalbrettdicke von 1 cm würden sie eine Fläche von rund 20 mal 20 Metern vereinnahmen.

Wenn wir mehrere Bücherregale in einem Kubus anordnen, können wir es noch weiter kompaktifizieren. Mit 18 Reihen, 66 Büchern pro Reihe und 25 Bücherregalen mit jeweils 2 cm Abstand zwischen den Regalen entsteht ein Würfel mit einer Seitenlänge von vier Metern. Auf diesem kompakten Raum würden wir das gesamte Leben eines einzigen Menschen vorfinden.

Digitale Ausmaße

Wer es lieber digital mag und noch mehr Platz sparen möchte, könnte versuchen, alles auf einem USB-Stick unterzubringen. Aber hätte dieser überhaupt genügend Speicher dafür?

Wenn wir von 8,9 Milliarden Wörter und durchschnittlich 7 Zeichen pro Wort ausgehen, erhalten wir mindestens 62,3 Milliarden Zeichen. Zusätzliche Satzzeichen wieder nicht mitgerechnet. Mit einer einfachen 8-Bit-Kodierung wie z.B. der ASCII-Erweiterung ISO 8859-1 benötigen wir dann 62.300.000.000 Bytes und damit 58 GB. Mit gängiger Textkompression kann man den Platzbedarf im Durchschnitt noch um 80% reduzieren; mit sehr spezialisierter Software sicher noch etwas mehr.

D.h., ein popliger USB-Stick könnte unser komplettes Leben beherbergen und hätte sogar noch Platz für einige Schnappschüsse. Heutzutage sind 10 bis 60 GB einfach nicht mehr so viel wie vielleicht noch vor 15 Jahren. Aber wenn man bedenkt, dass es sich hier lediglich um Text handelt und keine 4K-Videos, sind meiner Meinung nach zweistellige Gigabytes trotzdem eine ganze Menge.

Fazit

Wir haben gesehen, was für gewaltige Ausmaße ein Menschenleben in Schriftform hervorbringen kann. Dennoch bleiben noch einige Fragen offen, wie z.B.:
Wer soll jemals einen Lebensroman komplett durchlesen?
Wie lange würde es tatsächlich dauern, solch ein Werk niederzuschreiben und wo kann man jemanden dafür anheuern?
Welches Ausmaß würden alle Lebensromane aller jemals gelebten Menschen annehmen und würde der entsprechende Bücherturm bis zur Sonne reichen?

Spoiler: Bereits alle vollendeten Lebensromane der aktuellen 7,9 Milliarden Menschen würden ein Bücherregal von mindestens 1700 mal 1700 Kilometer füllen oder einen Bücherturm bilden, der mit seinen 14 Milliarden Kilometern fast 100 mal höher wäre als die Entfernung Erde-Sonne (150 Mio. km) oder etwas größer als der Durchmesser der Plutoumlaufbahn (11,8 Mrd. km). Natürlich nur angenommen, all diese Menschen würden durchschnittlich 81 Jahre alt werden. Aber was will man auch von einer Milchmädchen-Überschlagsrechnung erwarten.

Zumindest bleibt am Ende festzuhalten, dass die enorme Wörteranzahl eines Lebensromans unterstreicht, wie unterschiedlich und einzigartig jedes Menschenleben ausfällt. Dabei sollten wir jedoch nicht unentwegt versuchen, alles Erlebte festzuhalten und überall zu dokumentieren wie z.B. bei Social Media. Vielmehr ist es vielleicht gar nicht so schlimm, dass niemand jemals unser komplettes Leben lesen wird. Denn auf diese Weise wird es immer jene Momente im Leben geben, die ganz besonders sind und nur uns allein gehören. Genau solche Erlebnisse sollten wir sammeln und hüten, manchen Rest nicht so wichtig nehmen und anderes kann auch einmal getrost in den Müll geworfen und vergessen werden.

Hast du Anregungen, Fragen, Fehler gefunden oder würdest etwas komplett anders machen? Dann ab in die Kommentare damit. Ich freue mich immer über Feedback : D

Quellen

Lesegeschwindigkeit: Wikipedia, science.orf
Lebenserwartung: Statistisches Bundesamt
Träume: Wikipedia REM, Wikipedia Non-REM
Normseite: Wikipedia
Durchschnittliche dt. Wortlänge: Duden
Maße und Seitendicke von Romanen: Mein Bücherregal : P
Typische Bibliothek: Bibliotheksportal
Zeichenkodierung: Wikipedia ASCII, Wikipedia ISO_8859-1
Textkompression: Winzip, Wikipedia Brotli
Weltbevölkerung: Statista
Erdbahn: Wikipedia
Plutobahn: Wikipedia