Eines traurigen Tages war der Meister des Tempels friedlich eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Als die Mönche dies bemerkten, wuselten sie alle herbei und gaben ihm die letzte Ehre. Man klagte, betete und schmückte seinen Leib mit getrockneten Blütenblättern. Einer der Mönche konnte sein Tränen nicht mehr zurückhalten und fiel vor dem Meister auf die Knie. Plötzlich erschien Katox – der Gott des Todes – vor ihnen. Erschrocken wichen die Mönche zurück, bis auf den einen, der gerade am Boden kniete. Dieser schaute den Gott etwas ungläubig an. Ohne Umschweife ergriff Katox das Wort: „Oho, du bist wohl einer von der mutigen Sorte?“
Er musterte den Mönch kurz. Dann fuhr er fort: „Ich kann euch sicher behilflich sein. Wollt ihr nicht, dass ich euren Meister wieder zurück ins Leben bringe?“
Da stand der Mönch mutig auf und antwortete: „Oh großer Katox, führe uns nicht in Versuchung. Seine Zeit war wohl gekommen und uns steht es nicht zu, so etwas zu verlangen.“
Katox entgegnete: „Aber vielleicht kann ich ob des Verlustes etwas Gutes tun. Wie wäre es mit einer Wagenladung Gold als Ausgleich?“
„Unser Meister hat uns stets Bescheidenheit gelehrt. Wir haben hier alles, was wir brauchen“, erwiderte der Mönch.
„Ihr könntet damit sicher viel bewirken. Wenn schon nicht für euch. So gebt es doch den Armen“, versuchte ihn Katox zu überzeugen.
„Das klingt sehr reizvoll. Aber solch göttliche Eingriffe, kommen doch nie ohne Preis. Ich kenne all deine Geschichten, oh Katox.“
„Das ist wahr. Vielleicht… muss es sich nur richtig lohnen“, meinte Katox und offerierte: „Wie wäre es mit der Macht, Kriege zu verhindern oder die selbstsüchtigen Könige zu stürzen? Selbst wenn du dafür am Ende deine Seele geben müsstest, würdest du es doch tun, oder nicht?“
Der Mönch entgegnete: „Das klingt wahrlich verlockend. Doch es widerspricht dem natürlichen Lauf der Dinge. Alles braucht seine Zeit. Das ist der einzig wahre Weg.“
Katox begann zu lächeln, was meist kein gutes Zeichen war und sagte: „Ich sehe, du bist ein wahrer Gläubiger. Drum erhältst du etwas von mir, ohne dass du im Stande sein wirst, es abzulehnen.“
Das erste Mal blitzte Angst in den Augen des mutigen Mönches auf. Die anderen Mönche schreckten weiter zurück und versuchten sich hinter der spärlichen Einrichtung zu verstecken. Katox zeigte mit seinem Finger auf den Mönch und sagte: „Hiermit ernenne ich dich zum neuen Meister des Tempels. Mögest du ihn weise führen, bis dein letzter Tag auf Erden gekommen ist.“
Schlagwort: Götter
Das Gleichnis des Lebens
Auch bekannt als das Gleichnis, das selbst die Götter überzeugte. Niemand weiß, ob es nur dafür ins Leben gerufen wurde oder um ein anderes Licht auf die Geschehnisse am Beginn der Zeit zu werfen.
Der Geist der Zeit existierte von Anbeginn. Doch er war nicht allmächtig. Er verlieh den Dingen lediglich Zeit. Wenn er eine Blume pflückte, verwelkten ihre Blüten augenblicklich. Streichelte er über einen Baum, verdorrte dieser. Einmal tanzte ein Schmetterling über seinem Schopf. Kaum hatte sich dieser auf den Kopf des Geistes niedergelassen, fiel er leblos zu Boden. Drum war es kein Wunder, dass der Geist von allen Zwerglingen und Tieren gefürchtet wurde. Kaum erblickten sie ihn, wurde er hinfort gejagt oder man floh Hals über Kopf. So streifte er unentwegt einsam durchs Land und fragte sich nach dem Sinn seiner Existenz, bis man ihn ganz vergessen hatte.
Eines Tages vernahm der Geist eine Stimme: „Wenn mir doch nur jemand helfen könnte.“
Er lugte hinter einem Zaun hervor und entdeckte eine kleine Hütte. Ein Heiler saß neben einem Bett und meinte: „Ich weiß auch nicht mehr weiter. Ich hab mein Bestes getan.“
Darauf sagte eine kränkliche Stimme: „Aber so geht es nicht weiter. Ich kann nicht auf ewig diese Qualen erleiden. Wo sind nur die Götter, wenn man sie braucht?“
„Vielleicht erbarmt sich Zion doch noch und heilt dich mit ihrer Magie. Oder Elfrik lässt uns seinen besonderen Wein zukommen, um die Schmerzen besser zu betäuben.“
„Bis jetzt hat mich niemand erhört. Ich will nur noch, dass es endet“, klagte der Kranke.
„Sollte tatsächlich jemand seine Hilfe benötigen?“, fragte sich der Geist. Selbstbewusst betrat er die Hütte.
„Zur Seite, Heiler! Ich bin genau der, den ihr sucht.“
Seine bleiche Erscheinung und sein forsches Auftreten ließen die zwei Zwerglinge kurz aufschrecken.
„Bist du… bist du ein Helfer der Götter?“, fragte der Heiler vorsichtig. Der Kranke hatte sich schnell wieder im Griff und sagte: „Wenn nicht, kannst du gleich wieder verschwinden. Bisher konnte mir niemand helfen.“
Da antwortete der Geist: „Ich kann dein Leiden beenden und dir ewigen Schlaf schenken.“
Während er dies sprach, berührte er den Efeu an der Hauswand und ließ ihn umgehend zu Staub zerfallen.
„So hat mich Zion doch erhört“, sagte der Kranke erfreut.
„Ich wurde von niemandem geschickt. Ich bin mein eigener Herr“, antwortete der Geist.
„Ohhh. Wenn das wirklich wahr ist, dann bitte. Bitte nimm meine Hand.“
Der Kranke streckte ihm erwartungsvoll die Hand entgegen. Der Geist schlug, ohne zu zögern, ein. Schlagartig fiel der Arm des Kranken auf die Decke. Seine Augen wurden leer und seine Atmung stoppte. Der Heiler machte große Augen und fiel auf die Knie.
„Bei den Göttern… oh du. Du hast vermocht, wozu niemand im Stande war; nicht einmal die Götter selbst. Wie soll ich dich preisen? Wie ist dein Name?“
„Das kann ich dir nicht sagen. Ich bin noch auf der Suche“, antwortete der Geist.
Es dauerte nicht lange, da traf der Geist auf zwei weitere gequälte Seelen. Ein magerer Bär und ein dürrer Hase krümmten sich vor Schmerzen unter einem kargen Baum.
„Oh könnte uns doch nur jemand von unseren Qualen erlösen“, jammerte der Bär und hielt sich den Bauch.
„Ich verstehe einfach nicht, warum Sibella uns im Winter derart peinigt? Ich kann auch nicht mehr“, meinte der Hase. Der Geist trat an die beiden heran und fragte: „Was fehlt euch denn? Vielleicht kann ich helfen?“
„Wenn dich Sibella geschickt hat, dann sicherlich. Hast du nahrhafte Früchte dabei?“, fragte der Bär.
„Ich wurde von niemandem geschickt. Ich bin mein eigener Herr“, antwortete der Geist.
„Dann sind wir verloren. Siehst du nicht, dass wir gerade verhungern?“, jammerte der Hase.
„Ich könnte eure Leiden endgültig beenden“, widersprach der Geist. Der Bär musterte den Geist genauer und fragte: „Oh oh, bist du etwa dieser Geist, der Zwerglingen das Leben nehmen kann?“
„Wenn du das wirklich kannst, nur zu. So will ich nicht mehr leben“, klagte der Hase.
„Da hast du recht, Hase“, stimmte der Bär zu und bat den Geist: „Bitte lieber Geist, erlös uns von unserer Qual.“
„Euch beide? Das könnte ich wohl. Ich habe aber eine bessere Idee“, meinte der Geist. Er hob seine Hand und schritt auf die beiden zu. Dann tippte er kurz an die Stirn des Hasen. Augenblicklich fielen dessen Augen zu. Der Geist wandte sich darauf dem Bären zu und sagte: „Und nun mein guter Bär, iss und nähre dich. Denn Leben ist kostbar.“
„Guter Geist, wie soll ich dich preisen, wie ist dein Name?“, fragte der Bär.
„Das kann ich dir nicht sagen. Ich bin noch auf der Suche“, antwortete der Geist.
Die Taten des hilfreichen Geistes sprachen sich schnell herum; so auch bei den Tieren des Waldes. Als sie davon erfuhren, schöpften sie neue Hoffnung. Möglicherweise könnte er ihr Dilemma lösen. Und so wurde das erste Mal direkt nach dem Geist gerufen. Vögel schwärmten aus und fragten jedes Tier und jeden Zwergling, ob sie ihn gesehen hatten.
Nach wenigen Tagen traf der Geist auf eine Schwalbe, die ihn direkt um Hilfe bat. Er war über das Vertrauen der Tiere so erfreut, dass er der Schwalbe sogleich zusagte. Daraufhin folgte er ihr über Stock und Stein – an einer weiten Weide entlang – bis zu einem kleinen blühenden Hain. Unter den Baumkronen säumten Rehe, Wildschweine, Hasen, Bären und viele andere Tiere das Gras. Ein Hirsch mit prächtigem Geweih trat hervor und sprach: „Oh gutmütiger Geist. Wir haben deine Hilfe erbeten, da wir uns nicht mehr zu helfen wissen. Die Weiden und Wälder werden immer lichter. Man findet kaum noch Beeren oder Früchte. Immer häufiger werden unsere Bauten und Unterschlüpfe zerstört oder wir sind gezwungen, sie zu verlassen. Die Zwerglinge breiten sich indes ungezügelt weiter aus.“
Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Wir können unsere Kinder kaum noch versorgen und uns selbst erst recht nicht mehr. Kannst du uns nicht helfen? Du vermagst doch Zwerglingen das Leben zu nehmen? Wir würden auch alles tun, was du im Gegenzug verlangst.“
Der Geist überlegte kurz und sagte dann: „Mhm, das ist aber eine vermessene Bitte. Sollte ich mir nicht vorher anhören, was die Zwerglinge dazu zu sagen haben?“
„Wie du magst, aber sie werden dich sicher belügen. Das ist in ihrer Natur. Sie halten sich für Sibellas Kinder und alles andere ist für sie nichts Wert“, antwortete der stattliche Hirsch. Die Tiere des Waldes stimmten darauf ein:
„Genau, das sind alles Lügner“, meinte die Schlange.
„Bösartige Nesträuber“, schimpfte der Uhu.
„Und ungehobelte Schläger“, meinte das Schwein.
„Wir werden sehen“, sagte der Geist und verabschiedete sich.
Ohne Umschweife begab sich der Geist zur Hauptstadt der Zwerglinge und bat um eine Audienz beim König. Auch hier hatte man bereits von ihm gehört. Drum gewährte man ihm seine Bitte und führte ihn direkt zum Palast des Königs. In einem eindrucksvollen Thronsaal wurde der Ankömmling vom König höchstpersönlich empfangen. Ohne Kniefall oder königliche Begrüßung trug der Geist sogleich die Anschuldigungen der Tiere vor. Der König antwortete darauf mit ruhiger Stimme: „Wir wissen uns auch keinen Rat mehr. Die Ernten fallen von Jahr zu Jahr schlechter aus. Das Feuerholz wird jeden Winter knapper. Und Tiere berauben uns immer häufiger unserer Vorräte. Unsere Kinder müssen jeden Winter hungern. Es ist eine Qual.“
Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er energischer fort: „Wir müssen neue Ländereien ergründen. Wir haben gar keine andere Wahl. Wenn du uns dafür verachtest, bist du genauso heuchlerisch wie die Tiere. Sie halten sich für Sibellas höchste Schöpfung, weil sie zuerst in diese Welt kamen.“
„Euch ist also bewusst, was ihr tut?“, fragte der Geist rhetorisch.
Der König antwortete nicht.
„Das ist wahrlich ein Dilemma“, fügte der Geist hinzu. „Aber was wenn… würdet Ihr wirklich alles für eure Kinder tun?“
Der König lehnte sich vor und antwortete: „Natürlich würden wir das!“
„Gut“, sagte der Geist. Im nächsten Moment sprang er zum Thron und tippte dem König an die Stirn. Geräuschlos sank dieser in seinen samtenen Sitz zurück.
„Er hat dem König das Leben gestohlen!“, schrie eine der Wachen von der Seite und stürmte auf den Geist zu. Dieser hob vorsorglich seine Hand. Unbeeindruckt versuchte ihn die Wache mit ihrer Hellebarde niederzustrecken. Doch sobald die Klinge die Hand des Geistes berührte, zerstieb das Metall zu rötlichem Staub. Jetzt erst wurde den Wachen bewusst, wem sie da gegenüberstanden. Angsterfüllt ließen sie ihre Waffen fallen und flüchteten kopflos davon.
Danach suchte der Geist jeden älteren Zwergling heim und nahm ihm das Leben. Anschließend kehrte er zum Hain der Tiere zurück.
„Du hast es also getan?“, fragte der prächtige Hirsch.
„Die Zwerglinge werden euch keine Probleme mehr bereiten“, antwortete der Geist. Die Tiere jubelten.
„Du bist wahrlich…“, begann der Hirsch, wurde aber sofort vom Geist unterbrochen: „Damit ist es aber nicht getan. Ihr meintet schließlich, ihr würdet alles im Gegenzug tun?“
„Natürlich, oh mächtiger Geist“, sagte der Hirsch.
„Dann legt euch darnieder. Ihr werdet die nächsten sein.“
„Aber… aber so war das nicht ausgehandelt“, schnaubte der Hirsch und scharrte mit den Hufen.
„Wolltet ihr nicht alles tun?“, fragte der Geist.
„Aber die Zwerglinge sind doch…“
„Oh nein, kleiner Hirsch. Nicht die Zwerglinge sind Schuld, sondern das Leben selbst. Das endlose Leben ist das Übel dieser Welt. Es breitet sich unkontrolliert aus und vermaledeit alles, was es berührt, sogar sich selbst. Wenn du das Leben wirklich schützen willst, braucht es ein Ende.“
Da verstand der Hirsch, welchen Handel er eingegangen war. Er kniete sich nieder und sagte: „Wie sollen wir dich preisen, wie ist dein Name?“
„Das kann ich dir sagen. Denn meine Suche endet hier…“, antwortete der Geist. Denn endlich hatte er seine Bestimmung gefunden; als Gott des Todes.
Der Gott des Todes und die vier Törichten – Das hässliche Angebot
Es war einmal in einer weit entfernten Zeit. Man hatte es geschafft, alle Krankheiten zu heilen. Ebenfalls musste niemand mehr aufgrund des Alters sterben. Es begab sich nun, dass sich vier Törichte trafen und über die alten Götter diskutierten.
„Ja, dem kann ich nur beipflichten. Den Gott des Todes haben wir endlich besiegt“, sagte einer.
„Ja welch ein überflüssiger Tropf“, sagte ein anderer.
„Genau, der soll nur kommen, als könnte der uns was.“
Mit diesen Worten ausgesprochen, erschien Katox vor ihnen – der Gott des Todes und der Krankheit. Keiner wich vor ihm zurück. Der erste Törichte maß sich an: „Verschwinde Armseliger. Hier hast du nichts mehr zu suchen.“
„Ist das so?“, lachte Katox. Und mit einem Fingerschnippen schied der erste Törichte dahin. „Mögest du für tausend Jahre auf Erden wandeln, Ungläubiger.“
Die restlichen drei, nun sichtlich eingeschüchtert, baten ihn um Verzeihung.
„Nun, ich bin heute in guter Stimmung. Entweder hole ich euch gleich oder ihr nehmt mein spezielles Angebot an. Fairerweise werde ich es euch näher erläutern. Ich verspreche euch, ich werde euch nicht persönlich holen. Solltet ihr jedoch aus einem anderen Grund dahinscheiden, müsst ihr danach so viel Jahre auf Erden wandeln, wie ihr lebend hier verbracht habt, bevor ihr ins Reich der Toten einkehren dürft.“
Ohne zu zögern, nahmen alle drei das Angebot an.
„Dann auf ein baldiges Wiedersehen, denn dies kann ich euch versichern“, sagte Katox und verschwand.
„Was kann uns jetzt noch geschehen? Das war eine gute Wahl, meine Freunde. Wir können nicht durch Krankheit oder Alter sterben und jetzt kann uns selbst Katox nicht mehr mit seinem Finger töten“, meinte der zweite Törichte. Die anderen pflichteten ihm bei.
„Trotzdem sollten wir Vorsicht walten lassen. Jene die Katox unterschätzen, verlieren schließlich immer“, gab der dritte Törichte zum Besten. Daraufhin trennten sie sich und gingen wieder ihrem gewöhnlichen Alltag nach.
Eines Tages war der zweite Törichte gerade mit seinem fliegenden Vehikel unterwegs. Da erschien plötzlich Katox vor ihm. Der Törichte erschrak fürchterlich, wodurch er die Kontrolle über sein Flugvehikel verlor. Mit einem heftigen Knall stürzte er gegen einen Berg und schied augenblicklich dahin.
Kurz darauf erschien Katox dem dritten Törichten auf dem Markt. Dieser wandte sich vor Angst von ihm ab und begab sich sofort auf den Heimweg. Währenddessen murmelte er: „Ich werde in keiner deiner Fallen tappen.“
Doch die Furcht blieb. Zur Sicherheit schloss er sich in sein Heim ein. Er ließ sich nur das Nötigste bringen und versuchte jede Bewegung zu vermeiden. Es dauerte nicht lange, bis seine Paranoia vollständig Besitz von ihm ergriff. Mit den Worten: „Mich kriegst du nicht, mich kriegst du nicht. Ich trick’s dich aus, hehe. Ich komm dir zuvor“, schnitt er sich selbst die Kehle durch und schied dahin.
Der letzte Törichte ließ sich nicht so leicht beirren. Er hatte einen starken Geist und war weit entfernt von Furcht oder Verrücktheit. Katox ließ ihn sich eine Weile in Sicherheit wiegen, doch es dauerte nicht lange, da erschien er auch ihm. Er weckte ihn zu später Stunde.
„Was willst du Katox? Willst du mich jetzt doch noch holen?“
„Ich sagte bereits, dass werde ich nicht tun und ‚Katox lügt niemals‘. Was wären sonst meine Angebote wert? Doch jenes, was ich euch offerierte, hättet ihr nie wählen sollen.“
„Ach, lass mich schlafen. Du kannst mir nichts, erbärmlicher Gott.“
„Das meinst du. Doch sagte ich nur, ich werde keinen von euch persönlich holen.“
Der letzte Törichte sah ihn verwundert an: „Was willst du damit sagen?“
„Sieh nur, wie friedlich deine Frau hier schläft. Als würde alles gut werden.“
Katox hob seine Hand und mit einem Fingerschnippen schied die Frau des Törichten dahin.
„Was, das kannst du nicht tun!“, schrie der Törichte.
„Welch begrenzter Geist. Wie kann ich nicht tun, was bereits geschehen ist? Nun denn, wollen wir uns deinen Kindern widmen?“
Katox hob erneut die Hand.
„Nein, bitte nicht. Du hast gewonnen.“
„So?“, tat Katox erstaunt. Er senkte seine Hand.
„Du Monster, Scharlatan und Blender.“
„Wenn du mich nur beschimpfen willst, scheinst du ja noch nicht aufgegeben zu haben.“
Der Gott hob erneut seine Hand. Augenblicklich sprang der Törichte aus dem Fenster und fiel in die dunkle Tiefe der Nacht. Als er den Boden erreichte, schied er dahin.
Bildnis der Götter
Sibella voll Liebe ganz und gar
Haselnussbraunes Aug und Haar
Das Herz der Weltenschnur
Dem Leben der Schwur
Der Mutter Natur
Zion der weiseste Kopf
Alabasterhaut und silberweißer Schopf
Mit strengem Blick lehrt sie Magie
Um ihr Wissen verehrt man sie
Elfrik der Müßigkeit fromm
Feiere und träume mit ihm: „Komm!“
Mit glühendem Gesicht
Ist er darauf erpicht
Uns Licht zu geben
Denn Sinn im Leben
Habron der Stärkste von allen
Lässt das Blut der Krieger wallen
Der mächtigste Hammer ist sein Kumpan
Gebeine spaltet er mit Elan
Katox einst ein Narr
Der den Tod gebar
Des Fluches gezeichnet mit knöchr’gem Gesicht
Mit des Schalkes Kappe verdeckt er die Sicht
Ruft ihn nicht
Es wäre töricht
Der Schöpfungsmythos der Zwerglinge, ihrer Götter und dem Leben selbst
Am Anfang war kein Wort, sondern das stille Alpha. Es war jedoch von sich selbst sehr gelangweilt. Drum erschuf es mit einer gewaltigen Explosion die Welt. Für Äonen verfolgte es interessiert, wie Sterne entstanden und wieder vergingen. Doch irgendwann hatte es den Tanz jedes Sterns und jedes Komets bewundert und die verschiedensten Planeten bereist. Es hatte sich schlicht sattgesehen. Zudem konnte es all dies mit niemandem teilen. Erst jetzt bemerkte es, wie einsam es eigentlich war. Aus tiefster Einsicht entschied es sich, mit Kraft seiner Allmacht sich selbst in fünf persönliche Götter aufzuspalten:
Sibella, Zion, Elfrik, Habron und der Namenlose Narr.
Sibelle pflanzte den Keim des Lebens. Die Schönheit dessen erfüllte alle mit Glück.
Doch das Leben jagte ziellos in den Tag hinein. Niemand fragte nach dem Wie und Warum.
Drum brachte Zion das Geschenk des Wissens und der Magie. Damit erhoben sich die Zwerglinge und schieden sich von den Tieren ab.
Die Zwerglinge waren so eifrig, dass sie nie die Zeit fanden, sich an sich und dem Leben selbst zu erfreuen.
So verlieh Elfrik den Zwerglingen den Ausgleich der Müßigkeit und die Fähigkeit zu träumen.
Doch es dauerte nicht lange, da fühlten sich die Tiere zurückgedrängt. Sie wurden aggressiver und gefährlicher und bald schon wurden die Zwerglinge von Monstern und Dämonen heimgesucht.
Zum Schutz gab Habron den Zwerglingen die Kraft und den Kampfgeist, sich in der neuen Welt zu verteidigen.
Mit Wohlwollen betrachteten die Götter ihr Werk und die stetige Entwicklung der Zwerglinge; bis auf den Narren. Auch wenn ihre Schöpfung noch viel lernen musste, kam für den Narren schnell Langeweile auf. Für seinen Geschmack war alles einfach zu perfekt. Wenn sich daran etwas ändern sollte, müsste er es wohl selbst in die Hand nehmen.
Drum stieg er zu den Zwerglingen hinab.
„Ihr habt ein tolles Leben hier, ohne Frage. Ihr könnt essen, wie viel ihr wollt und wisst euch zu verteidigen. Dennoch gibt es viel mehr, als euch die Götter geschenkt haben und ihr euch überhaupt vorstellen könnt. Schaut einmal, was ich hier habe.“
In seiner Hand glitzerte ein lupenreiner Diamant. Das Funkeln zog die Zwerglinge sofort in seinen Bann.
„Wo gibt es mehr davon?“, wollten sie sogleich wissen.
„Ich kann es euch zeigen. Hier nahe den Bergen.“
„Aber in den Bergen leben doch die Dämonen.“
„Nur wer die Gefahr sucht, kann auch erfolgreich sein“, machte ihnen der Narr weis.
Und so brachte der Narr den Zwerglingen die Torheit.
Die anderen Götter waren von dieser Schandtat alles andere als angetan; besonders Zion als Göttin des Wissens nicht. Deshalb rief sie alle Götter zusammen, um zu beraten, was sie gegen den Narren unternehmen sollten. Denn wer weiß, was dieser als nächstes aushecken würde. Die ganze Nacht diskutierten sie über ihre Möglichkeiten. Am Ende hatten sie einen Plan geschmiedet, der seines Gleichen sucht.
Mit dem ersten Sonnenstrahl ließen sie dem Narren eine Botschaft zukommen. Unter dem Vorwand der Versöhnung luden sie ihn zu einer Feier ein. Das wollte er sich nicht entgehen lassen und war in Kürze herbeigeeilt. Als Friedensbund stieß man mit Elfriks Wein an. Bereits der erste Schluck benebelte den Geist des Narren. Habron zog sogleich seinen Hammer und zerschmetterte dessen Körper. Sibella wies den Baum des Lebens an, den Narren mit Dornenranken zu umschlingen. Sie sollten sein ewiges Gefängnis sein. Zion nahm ihr linkes Auge und setzte es auf einer Blüte des Lebensbaumes ab. Es war das Opfer für den unverzeihlichsten aller Zauber. Die Formel war schnell ausgesprochen, wodurch sich ein magisches Band zwischen ihrem Auge und dem Narren bildete. Dieser Fluch zwang den Narren fortan jede Sekunde wie tausend Jahre erleben zu müssen. Die ewige Langeweile sollte seine Strafe sein.
Das Werk der Götter war vollendet. Niemand würde mehr die Zwerglinge zu Missetaten verleiten oder sie ins Unglück stürzen können. Zufrieden gingen die Götter ihrer Wege und herrschten wie bisher über ihre jeweilige Domäne.
Unzählige Monde vergingen, bis die Götter bemerkten, dass etwas mit ihrer Schöpfung nicht stimmte. Das Leben breitete sich unkontrolliert aus und der Platz wurde immer rarer. Zion hatte eine Ahnung, was das Problem sein könnte.
„Irgendwie fehlt das Ende“, meinte sie. Doch als unsterbliche Götter konnten sie es nicht erfassen und wussten sich keinen Rat. Vielleicht brauchten sie einen verrückten Geist, der abseits von allem Wahren und Guten steht. Dieser Gedanke ließ Zion erkennen, dass der Narr nicht ohne Grund existierte. Möglicherweise konnte bloß er ihnen helfen.
Zusammen suchten sie das Gefängnis des Narren auf. Zion brach den unverzeihlichen Zauber und schilderte ihm ihr Problem. Der Narr antwortete daraufhin: „Wegen euch habe ich eine Ewigkeit erlebt. Zunächst war sie mit vollkommener Langeweile gefüllt gewesen. Doch bald hatte ich gemerkt, dass es mehr als nur die gewöhnlichen Ebenen der Existenz gibt. Ich habe gesehen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Wie alles beginnt und endet. Das Alpha und Omega. Lasst mich frei und ich helfe euch.“
Die Götter schauten sich unentschlossen an. Aber Zion war von Vornherein bewusst gewesen, dass es am Ende darauf hinauslaufen würde.
„Solange du dich an die Abmachung hältst“, antwortete sie. Dann wandte sie sich Sibella zu: „Lass ihn frei.“
Im Nu schlängelte sich das Dornengefängnis davon. Der Narr streckte und reckte sich und ließ sich dabei unnötig lange Zeit, nur um die anderen Götter auf die Folter zu spannen. Dann sprach er: „Nun denn, ihr braucht das, was ihr euch nicht vorzustellen vermögt. Im Gegensatz zu Göttern darf Leben keine Ewigkeit kennen. Daher braucht es das Ende; namentlich den Tod.“
Die Götter begriffen zunächst nicht, was er meinte. Selbst Zion war dieses Konzept neu: „Wohin sollen Sie am Ende gehen?“
Er antwortete: „In mein persönliches Reich. Ins Reich der Toten. Dies wird selbst euch verwehrt bleiben.“
„Ich verstehe nicht, wie dies …“
„Es wird nicht den Regeln der gewöhnlichen Welt folgen, denn es existiert außerhalb davon. Ihr müsst es nicht verstehen, ihr müsst mir lediglich vertrauen.“
Er sprach mit solch einer Weisheit, dass ihm die Götter Glauben schenkten und sich respektvoll vor ihm verbeugten.
Und so wurde der Narr zum Verwalter über das Gleichgewicht des Lebens und war fortan bekannt als Katox der Gott des Todes.
Die Feier ohne Segen
Es war einmal ein junger Bauer, der den Göttern kaum huldigte. Er meinte stets, er könne alles aus eigener Kraft erreichen. Drum war er fleißig und half auch gerne bei der Feldarbeit. Da die Ernte dieses Jahr gut ausgefallen war, wollte das Dorf ein Fest feiern, um Sibella – der Göttin der Fruchtbarkeit – zu danken. Dieses sollte am Hof des jungen Mannes stattfinden.
In wenigen Tagen hatte man alles Nötige arrangiert und das fröhliche Treiben konnte beginnen. Es wurde reichlich Met verteilt, getanzt und gelacht. Die heitere Feier sollte jedoch nicht lange währen. Kräftige Windböen bliesen eifrig Wolken herbei und der Himmel verdunkelte sich zusehends. Regen schoss gen Boden und trieb die Gäste in die große Scheune. Der junge Mann war bekannt für sein achtloses Handeln mit den Göttern. Deshalb wurde er sogleich gefragte, ob er Sibellas Segen eingeholt hatte. Er versicherte ihnen, dass er dies getan hatte. Schließlich feierten sie ihr zu Ehren ein Fest: „Die Mönche im Tempel haben mir sogar versichert, dass das Wetter sonnig und klar werden soll.“
Murmeln raunte durch die Scheune. Da kam einem eine Idee: „Du hast doch nicht etwa Elfrik vergessen, den Gott des Feierns?“
„Du scherzt wohl, armer Tropf. Sibella ist die Göttin des Wetters und nicht Elfrik“, erwiderte der junge Mann.
Das Gewitter war schnell vergessen und so feierte man fröhlich und vergnügt in der Scheune weiter. Es wurde wieder reichlich Met ausgeschenkt und der ein oder andere trank über den Durst hinaus; ebenso der junge Mann. Drum war es kein Wunder, dass es alsbald zum Streit zwischen ihm und einem gläubigen Lehrer kam. Sekunden später artete dieser in einer Keilerei aus. Das Met in seinen Adern schwächte den jungen Mann so sehr, dass er selbst gegen den betagten Lehrmeister alt aussah. Als er, von der Faust des Lehrers getroffen, zu Boden fiel, lachte die Menge laut auf.
„Jättest mal lieber um Elfriks Seschen jebeten“, warf ihm ein Mann mit roter Nase an den Kopf.
„Pah, Habron ist der Gott des Kampfes und nicht Elfrik,“ versuchte er sich zu verteidigen.
Um von seinem Fauxpas abzulenken, zog der junge Mann die Vorstellung des Zauberers vor. Dieser beeindruckte die Gäste mit allerlei Tricks und Illusionen. Vor allem die hin und her zuckenden Blitze brachten die Menge zum Staunen.
Doch mit einem Mal – niemand weiß genau warum – entzog sich die Magie der Kontrolle des Zauberers. Feuerbälle flogen wild umher und schnell stand die Scheune in Flammen. Die Leute rannten um ihr Leben. Zum Glück schafften es alle unverletzt nach draußen. Doch trotz des Regens brannte die Scheune unbeirrt weiter. Hilflos musste der junge Mann mitansehen, wie das Gebäude in großem Funkenflug in sich zusammenstürzte.
„Hättest du mal zu Elfrik gebetet“, tadelte ihn ein kleiner Bub.
„Aber… aber Zion ist doch die Göttin der Zauberei“, stammelte der junge Mann. So hatte die Feier ein trauriges Ende genommen und die Gäste eilten nach Hause.
In den nächsten Tagen blieb der junge Mann im Bett, denn er fühlte sich nicht besonders gut. Der Arzt, der ihn besuchte, vermutete, dass es wohl an dem Wetter und dem übermäßigen Met lag. Was er sich jedoch genau eingefangen hatte, konnte er ihm nicht mit Sicherheit sagen. Seine Frau setzte sich zu ihm ans Bett und sagte: „Willst du nicht zu Elfrik beten?“
Mit schwacher Stimme antwortete er: „Ich dachte, Katox ist der Gott über Tod und Krankheit.“
„Wenn du es schon nicht aus Überzeugung tun willst, dann tue es wenigstens für mich.“
Und so faltete der junge Mann seine Hände zusammen und betete das erste Mal in seinem Leben zu Elfrik – dem Gott der Müßigkeit, des Feierns und Herr über unsere Träume. Im nächsten Moment schloss er seine Augen und fiel in einen tiefen Schlaf.
Als er wieder aufwachte, fühlte er sich, als könnte er Bäume ausreißen. Er sprang aus dem Bett und eilte nach draußen. Die Sonne lachte ihm sogleich entgegen. Das rege Treiben auf seinem Hof lies sein Herz noch höher Schlagen. Viele der Dorfbewohner hatten sich zusammengefunden und waren gerade damit beschäftigt die Grundpfeiler für eine neue Scheune aufzurichten. Sofort begrüßte er die vielen Helfer und bat sie um Verzeihung für die misslungene Feier. Sie winkten ab: „Ist ja zum Glück niemand verletzt wurden.“
„Und hoffentlich wird dir dies eine Lehre sein“, fügte ein Mann mit roter Nase hinzu. Daraufhin packte der junge Mann mit an und zusammen bauten sie die Scheune noch größer und prächtiger als zuvor wieder auf.
Als sie fertiggestellt war, wollte man sie mit einer neuen Feier einweihen. Dieses Mal bat der junge Mann im Voraus um Elfriks Segen. Anschließend feierte man vergnügt bis tief in die Nacht hinein, ohne dass auch nur ein einziger unzufriedener Gast nach Hause ging.
Der Gott des Todes und die fünf Törichten – Wünsche
Fünf Törichte besuchten den Schrein Katox‘ – Gott des Todes und der Krankheit. Es waren eine alte, kranke Frau, ihre zwei Söhne und ihre zwei Töchter. Sie traten vor den Schrein und baten den Gott, die Krankheit der Mutter zu heilen. Doch nichts geschah. Wütend darüber beschimpften sie Katox und verglichen ihn mit dem faulen Elfrik – Gott der Müßigkeit und des Feierns. Da erschien er plötzlich vor ihnen – der Gott des Todes. Erschrocken wichen sie zurück.
„So so. Ich soll also das bisschen Fieber und Husten heilen? Wollt ihr meine Zeit stehlen mit solchen Lappalien? Willst du sehen, was es heißt, wirklich krank zu sein?“
Katox schnippte mit den Fingern und und die alte Frau begann Blut zu husten.
„Nun zu euch vieren. Habt sie weit begleitet und auf ihrem Weg gestützt. Ihr habt Glück, heute bin ich guter Dinge. Wünscht euch etwas und es wird geschehen. Zumindest solange es in meiner Macht steht. Will mich ja nicht in die Dinge anderer Götter einmischen.“
Dann wandte er sich dem jüngeren Sohn zu.
„Nun denn Dickwanst, was wünschst du dir?“
„Ich will so schlank sein wie mein Bruder.“
Katox schnippte mit den Fingern und der beleibte Törichte übergab sich sogleich. Dann wandte sich Katox dem älteren Sohn zu.
„Nun denn Bohnenstange, was wünschst du dir?“
Er überlegte nicht lange: „Ich will so stark sein wie ein Ochse.“
Katox schnippte mit den Fingern und dem schwächlichen Törichten schossen Hörner aus der Stirn. Dann wandte sich Katox der jüngeren Tochter zu.
„Nun denn hübsches Kind, was wünschst du dir?“
„Hah, ich fall nicht auf deine Spielchen rein. Ich wünsche mir ewige Schönheit.“
Katox lächelte: „So sei es.“
Er schnippte mit den Fingern und die Tochter schied dahin.
„Mögest du ewig in deiner jetzigen Gestalt auf Erden wandeln.“
Dann wandte sich Katox der älteren Tochter zu.
„Nun denn arrogantes Weib, was wünschst du dir?“
„Mich wirst du nicht hinters Licht führen, Katox. Ich wünsche mir, dass ich auch in hundert Jahren noch so lebendig und schön bin wie heute.“
„Oho, eine interessante Wahl.“
Katox schnippte mit den Fingern und nichts geschah. Daraufhin verabschiedete er sich: „Nun denn, auf ein baldiges Wiedersehen, denn dies kann ich euch versichern.“
„Halt“, rief die alte Frau. „Habe ich nicht auch einen Wunsch?“
„Habe ich nie behauptet“, antwortete Katox. „Jeder hat bereits das bekommen, was er verdient. Mehr als ein Geschenk pro Leben wäre doch etwas ungerecht. Es war schließlich niemand bereit, seinen Wunsch für dich zu opfern. Das kannst du schlecht mir anlasten.“
Kaum das letzte Wort ausgesprochen, verflüchtigte sich Katox in Nebelschleier. Schon im nächsten Moment schied die alte Frau dahin. Die ältere Tochter echauffierte sich erbost: „Ihr seid selber Schuld! Hättet ihr unserer Mutter lieber Gesundheit gewünscht, als Katox auf den Leim zu gehen.“
Schnell zerstritten sich die drei und gingen getrennte Wege.
Der beleibte Törichte, sich nach jeder Mahlzeit übergebend, nahm rasch ab. Wie er es sich gewünscht hatte, erreichte er in kürzester Zeit das Gewicht seines Bruders. Es gelang ihm allerdings nicht, genug Essen im Magen zu behalten, als dass er dieses Gewicht hätte halten können. So magerte er weiter ab, bis sein Körper derart geschwächt war, dass er dahinschied.
Seinem Bruder sollte es nicht besser ergehen. Dieser wurde freilich so stark wie ein Ochse. Genau so wie er es sich gewünscht hatte. Eines Tages wachte er auf und musste feststellen, dass er sich gänzlich in einen Ochsen verwandelt hatte. Es dauert nicht lange, bis er einem Jäger zum Opfer fiel und auf einem Mittagstisch landete.
Nun war nur noch die arrogante Törichte übrig. Sie dachte, sie hätte Katox überlistet und ließ ihre ewige Jugend feiern. Sie heiratete einen reichen Mann und gebar ihm viele Kinder. Diese wuchsen schnell heran und mit der Zeit wurde ihr Gatte älter und grauer, doch sie veränderte sich nicht. Wie sie es sich gewünscht hatte, blieb sie jung. Es dauerte nicht lange, bis dies den anderen Dorfbewohnern auffiel. Ohne zu zögern, verschrie man sie als Hexe. In der darauffolgenden Nacht brannte man ihr Haus nieder. Ihr Mann und ihre Kinder fielen dem Feuer zum Opfer. Sie blieb jedoch unversehrt. Als sie das brennende Anwesen lebendig verließ, bestärkte dies die Dorfbewohner nur umso mehr. Bloß eine Hexe konnte diesen Flammen entkommen. Bevor das Dorf sie lynchen konnte, stahl sie sich im Schatten der Nacht davon. Ihrer Trauer entkam sie allerdings nicht. Der schmerzliche Verlust war zu groß, um mit ihm leben zu können. Drum stieg sie auf den nächstgelegenen Berg und stürzte sich hinunter. Doch wie sie es sich gewünscht hatte, blieb sie am Leben. Da stand sie nun – verzweifelt, geächtet und verfolgt.
„Katox, ich verfluche dich. Nimm meinen Wunsch zurück!“
Ein kaum wahrnehmbarer Windhauch ließ das Gras erzittern, wie wenn ein Gott vorbeihuscht und schmunzelt. Daraufhin folgte Stille.
So musste sie auf Erden wandeln, lebendig und dennoch im Inneren Tod, bis ihre hundert Jahre vorüber waren. Erst dann kam Katox und holte sie ins Reich der Toten.
Elfriks Segen
Es war einmal ein älterer Mann. Er pries Elfrik – den Gott der Müßigkeit, der Träume und des Feierns – jeden Tag. Er hielt stets alle Dorfbewohner dazu an, Elfrik ebenfalls als wahren Gott anzuerkennen. Denn viele beteten nicht zu ihm. Sie meinten er sei überflüssig und hätte keine große Macht. Um Elfriks Lehren zu verbreiten, bot der Alte jedem seine Hilfe an, der darum bat.
Eines Tages kam ein Freund des Alten vorbei und erzählte ihm von seinem Problem. Vor kurzem hatte er den Wein in seiner Winzerei fertiggestellt. Aufgrund der guten Ernte waren es aber unzählige Fässer geworden. Alle mussten nun nach Verdorbenheit und Geschmacksgüte getestet werden. Sie waren jedoch nur vier Mann und er wusste nicht, wie sie tausend Fässer verkosten sollten. Der Freund bat ihn um mehr Männer oder ein Mittel, was sie vor der Wirkung des Alkohols bewahren würde. Der Alte sagte aber: „Kostet es lediglich und trinkt keinen Tropfen. Betet dabei zu Elfrik und alles wird gut werden.“
Sie folgten seiner Anweisung und blieben auch nach dem tausendsten gekosteten Wein standhaft und klaren Geistes.
An einem anderen Tag suchte ihn sein Enkel auf und bat ihn um Hilfe. Er müsse am nächsten Tag eine Prüfung in Zauberei ablegen und hätte noch nicht viel gelernt. Er fragte ihn, ob er nicht zu Zion – der Göttin der Magie und des Lernens – beten und die ganze Nacht üben solle.
„Was bringt dir eine schlaflose Nacht, wenn dir bei der Prüfung die Augen zufallen? Übe nur so lange, dass du noch genügend Zeit zum Schlafen und Träumen hast. Und bete zu Elfrik, bevor du zu Bett gehst.“
Der Enkel tat, wie ihm geheißen. In der Nacht träumte er von allerlei Zauberei und wachte am nächsten Tag guter Dinge auf. Bei seiner Prüfung gelang ihm plötzlich alles viel besser, als am vorigen Tag. So war es nicht verwunderlich, dass er diese mit Bravour meisterte.
Eines furchtbaren Tages wurde der Alte krank, so dass er von nun an ans Bett gefesselt war. Als ihn seine Familienangehörigen besuchten, wunderten sie sich, warum er nicht Katox – den Gott der Krankheit und des Todes – bat ihn zu heilen?
„Katox würde das nicht gutheißen. Ich bin alt und meine Zeit ist bald gekommen. Würde ich Katox um etwas bitten, würde er mich gleich holen. Drum bete ich lieber zu Elfrik. Er erfüllt mich mit Glück, auch wenn ich nicht mehr arbeiten und nur noch müßig sein kann.“
Mit Elfriks Segen verbrachte der Alte noch viele glückliche Tage, in denen regelmäßig seine Freunde, Kinder und Enkel vorbeischauten. Eines besonders schönen Abends fiel das Rot der Sonne durch die nahegelegenen Weinreben direkt auf sein Bett. Die letzten Strahlen genießend, schlief er friedlich ein.
Der Gott des Todes und die zwei Törichten – Das faire Angebot
Zwei Törichte saßen auf einer Mauer und beklagten den Tod eines Freundes. Mit Schnaps versuchten sie ihre Trauer wegzuspülen. Da dies nicht auszureichen schien, begannen sie Katox den Gott des Todes zu beschimpfen. So war es kein Wunder, dass dieser im nächsten Moment grinsend vor ihnen erschien. Als die zwei Katox erblickten, erschraken sie sich heftig und wären beinahe von der Mauer gefallen. Normalerweise bekommt man den Gott des Todes schließlich nur zu Gesicht, wenn man bereits tot ist. Schnell versuchten sie sich herauszureden, doch Katox vergibt keinen Sterblichen.
„Eure Zeit ist jetzt ebenfalls gekommen“, vermittelte er ihnen. Doch großzügig wie er ist, machte er ihnen ein Angebot: „Ihr könnt wählen, ob ich euch gleich ins Reich der Toten bringen soll oder ob ihr mein spezielles Angebot annehmen wollt.“
Die zwei schauten sich verängstigt und verwundert an. Dann führte Katox aus: „Es ist eigentlich ganz einfach. Für jeden wahren Freund, den ihr besitzt, gebe ich euch ein zusätzliches Jahr, bis ich euch hole. Dafür müsst ihr nach eurem Tod für jeden Feind ein Jahr auf Erden wandeln; bevor ich euch ins Reich der Toten lasse.“
Amüsiert fügte er hinzu: „Wenn ihr bis dahin nicht bereits verrückt geworden seid. Soll ja den friedlichsten Geistern passieren.“
„Nun, was wählst du?“, fragt er den ersten.
„Pah, ich hab so viele Freunde, ich nehm dein spezielles Angebot.“
„Gute Wahl, gute Wahl“, erwiderte Katox.
„Schauen wir einmal, auf wie viele wir kommen. Mhm, eins und mhm,…
Nein ich glaube da hab ich mich verzählt. Ich finde keinen einzigen. Freilich als Staatsman, der du bist, magst du viele Speichellecker haben. Doch keiner würde für dich ins Feuer springen. Nicht einmal deine Frau, die dich, wie wir doch beide wissen, nur des Geldes wegen erduldet. Ja und deine Feinde, oh ja. Eins und zwei,… ja auf Zweihundert kommen wir da bestimmt. Habe einmal grob aufgerundet.“
„Betrüger!“, schimpfte ihn der erste. Und mit einem Fingerschnippen Katox‘ schied dieser augenblicklich dahin.
„Nun, und was wählst du?“, fragte er den zweiten. Dieser überlegte nicht lange und antwortete: „Hol mich jetzt auf der Stelle.“
„Jah, welch eine vortreffliche Wahl“, freute sich Katox erneut. „Ein fleißiger Arbeiter und gutmütiger Familienvater, der du bist. Doch was hilft es dir, wenn dir der Grips fehlt. Viele Jahre hättest du noch unbekümmert leben können, doch jetzt lässt du eine unglückliche Witwe und vier Waisen zurück. Sind wir im Angesicht des Todes doch etwas selbstsüchtig geworden?“
Abermals schnippte Katox mit den Fingern und der zweite Törichte schied dahin.
Der Gott des Todes und der Tor
Ein Tor besuchte einst den Schrein Katox‘ – Gott des Todes und der Krankheit. Er kniete sich vor diesem nieder und bat ihn, er möge ihm ein langes Leben schenken. Augenblicklich erschien Katox vor dem Tor. Dieser griff erschrocken an seine Brust. Nicht nur aus Furcht, sondern auch um sich sicher zu sein, dass er noch am Leben war.
„So so, betest zu mir und bist doch kerngesund. Verhöhnst das Leben, unwissender Tor.“
Der Tor versuchte sich zu erklären, doch Katox duldete es nicht: „Jetzt bringt dich deine Gier ins Reich der Toten.“
Der Tor klammerte sich an den Schrein des Gottes und wimmerte wie ein geschlagener Hund.
„Nun sag mir, wovor fürchtest du dich so? Doch nicht etwa des Schmerzens wegen? Ist er doch in einem Wimpernschlag vorbei. Ich kann dir versichern, er wird nicht schlimmer sein als ein Speer im Leib.“
Der Tor wagte es nicht zu sprechen.
„Sag mir nicht, dass es das Unbekannte ist, was du fürchtest. Dann müsstest du vor jeder Hausecke vor Angst zusammenbrechen. Weiß doch keiner, was der nächste Tag mit sich bringt.“
Der Tor wagte es nicht zu sprechen.
„Was bleibt uns noch, was bleibt uns bloß? Ein selbstsüchtiger Tor, wie du einer bist, hast wohl kaum Angst um Familie oder Freunde. Nein.“
Der Tor wagte es nicht zu sprechen.
„So wimmerst du um Wein, Bier und Heiterkeit? Bei meiner selbst, das kann nicht sein. So geh’n doch Freud und Leid seit jeher nie getrennte Wege.“
Der Tor wagte es nicht zu sprechen.
„Was bleibt uns noch, was bleibt uns bloß? So fürchtest du das Ende selbst? Hast Angst den letzten Gedanken zu erleben? Fürchtest dein Bewusstsein ganz zu verlieren? Dann nicke schnell, sonst hol ich dich.“
Der Tor nickte.
„So willst du nicht ins Reich der Toten? Willst ewig Denken und Erleben? Dann nicke schnell, sonst hol ich dich. Sonst bring ich dich ins Reich der Toten.“
Der Tor nickte.
„Nun denn, so wandle ewig hier auf Erden.“
Katox schnippte mit den Fingern und der Tor schied dahin.