Eines traurigen Tages war der Meister des Tempels friedlich eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Als die Mönche dies bemerkten, wuselten sie alle herbei und gaben ihm die letzte Ehre. Man klagte, betete und schmückte seinen Leib mit getrockneten Blütenblättern. Einer der Mönche konnte sein Tränen nicht mehr zurückhalten und fiel vor dem Meister auf die Knie. Plötzlich erschien Katox – der Gott des Todes – vor ihnen. Erschrocken wichen die Mönche zurück, bis auf den einen, der gerade am Boden kniete. Dieser schaute den Gott etwas ungläubig an. Ohne Umschweife ergriff Katox das Wort: „Oho, du bist wohl einer von der mutigen Sorte?“
Er musterte den Mönch kurz. Dann fuhr er fort: „Ich kann euch sicher behilflich sein. Wollt ihr nicht, dass ich euren Meister wieder zurück ins Leben bringe?“
Da stand der Mönch mutig auf und antwortete: „Oh großer Katox, führe uns nicht in Versuchung. Seine Zeit war wohl gekommen und uns steht es nicht zu, so etwas zu verlangen.“
Katox entgegnete: „Aber vielleicht kann ich ob des Verlustes etwas Gutes tun. Wie wäre es mit einer Wagenladung Gold als Ausgleich?“
„Unser Meister hat uns stets Bescheidenheit gelehrt. Wir haben hier alles, was wir brauchen“, erwiderte der Mönch.
„Ihr könntet damit sicher viel bewirken. Wenn schon nicht für euch. So gebt es doch den Armen“, versuchte ihn Katox zu überzeugen.
„Das klingt sehr reizvoll. Aber solch göttliche Eingriffe, kommen doch nie ohne Preis. Ich kenne all deine Geschichten, oh Katox.“
„Das ist wahr. Vielleicht… muss es sich nur richtig lohnen“, meinte Katox und offerierte: „Wie wäre es mit der Macht, Kriege zu verhindern oder die selbstsüchtigen Könige zu stürzen? Selbst wenn du dafür am Ende deine Seele geben müsstest, würdest du es doch tun, oder nicht?“
Der Mönch entgegnete: „Das klingt wahrlich verlockend. Doch es widerspricht dem natürlichen Lauf der Dinge. Alles braucht seine Zeit. Das ist der einzig wahre Weg.“
Katox begann zu lächeln, was meist kein gutes Zeichen war und sagte: „Ich sehe, du bist ein wahrer Gläubiger. Drum erhältst du etwas von mir, ohne dass du im Stande sein wirst, es abzulehnen.“
Das erste Mal blitzte Angst in den Augen des mutigen Mönches auf. Die anderen Mönche schreckten weiter zurück und versuchten sich hinter der spärlichen Einrichtung zu verstecken. Katox zeigte mit seinem Finger auf den Mönch und sagte: „Hiermit ernenne ich dich zum neuen Meister des Tempels. Mögest du ihn weise führen, bis dein letzter Tag auf Erden gekommen ist.“
Schlagwort: Philosophie
Wie lang wäre ein Roman über ein ganzes Menschenleben?
Stell dir vor, man würde dein komplettes Leben als Roman niederschreiben. Alles, was du erlebst, dabei denkst und fühlst. Wie viel Romanseiten würde das wohl füllen und welche Ausmaße würde ein gedrucktes Exemplar annehmen?
Inhalte
1. Definition eines Lebensromans
2. Lesegeschwindigkeit
3. Verfügbare Lebenszeit
4. Wie viele Wörter hat eine Romanseite?
5. Maße des Lebensromans
6. Die ganzen Ausmaße eines Lebensromans
7. Fazit
8. Quellen
Definition eines Lebensromans
Da wir unsere Erlebnisse meist in einer Art eindimensionalem Strom an Eindrücken wahrnehmen, soll unser Lebensroman dies ebenfalls so abbilden. Dafür definieren wir, dass im Groben und Ganzen die erzählte Zeit gleich der Erzählzeit sein sollte. D.h., die erlebte Zeit sollte mit der Zeit übereinstimmen, die man benötigt, um den entsprechenden Abschnitt zu lesen. Wenn man also deinen kompletten Lebensroman lesen wollen würde, wäre man damit dein ganzes Leben lang beschäftigt. Auf diese Weise können wir zum einen die Randbedingungen relativ genau definieren, zum anderen können wir ausschließen, dass ein allwissender Erzähler endlose Seiten mit Beschreibungen über Wangenknochen füllt.
Wenn wir die Größe eines Lebensromans ermitteln wollen, müssen wir laut dieser Definition lediglich berechnen, wie viel man lesen könnte, wenn man sein komplettes Leben damit verbringen würde. Dafür benötigen wir die durchschnittliche Lesegeschwindigkeit und Lebenserwartung eines Menschen sowie bestimmte Eigenschaften eines typischen Romans wie z.B. die Wörteranzahl pro Seite.
Lesegeschwindigkeit
Die Lesegeschwindigkeit ist von vielen Parametern wie Alter, IQ, Vorwissen, Textkomplexität, aber vor allem von der Leseerfahrung abhängig. Ungeübte Erwachsene lesen etwa mit einer Geschwindigkeit von 100 Wörter pro Minute. Schnelle geübte Leser können dagegen bis zu 1000 Wörter pro Minute bewerkstelligen. Für uns ist jedoch die durchschnittliche Lesegeschwindigkeit von geübten Lesern mit 200 bis 300 Wörtern pro Minute relevanter, da diese ungefähr mit der erlebten Zeit im Roman übereinstimmen sollte.
Verfügbare Lebenszeit
Wenn man in Deutschland im Jahr 2021 geboren wurde, liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei ziemlich genau 81 Jahren (+2,4 für Frauen, -2,4 für Männer). Bei 365,25 Tage pro Jahr (0,25 für das Schaltjahr) kommt man so insgesamt auf 29.585 Tage. Davon steht uns aber nicht die volle Zeit zur Verfügung. Schließlich benötigen wir Schlaf und davon nicht zu knapp. Durchschnittlich sollten es schon acht Stunden sein. Die verlieren wir jedoch nicht komplett, da wir unsere Träume nicht vergessen dürfen. In denen können wir zwar kein Buch lesen, aber das Erlebte darf in unserem Lebensroman natürlich nicht fehlen und muss demnach ebenso berücksichtigt werden.
Mittlerweile weiß man, dass wir nicht nur im REM-Schlaf (mit einem Anteil von 20-25% des Gesamtschlafes) träumen, sondern auch im Non-REM-Schlaf und somit der Traumanteil deutlich höher sein muss, als früher gedacht. Als grobe Schätzung gehen wir einmal von 50% bzw. 4 Stunden aus. Dass wir uns häufig nicht mehr an unsere Träume erinnern, zeigt lediglich unsere Unzulänglichkeit und spielt dabei keine Rolle.
Bei dieser Betrachtung lassen wir zudem außen vor, dass wir beispielsweise als Säugling oder Kleinkind deutlich mehr Zeit mit Schlafen verbringen. Ebenso bleibt die Zeit vor unserer Geburt unberücksichtigt.
Summa summarum stehen uns somit für einen Tag 20 Stunden zur Verfügung. Bei 81 Jahren sind das zusammen 591.705 Stunden oder rund 35,5 Millionen Minuten, ehe der Sensenmann anklopft.
Wie viele Wörter hat eine Romanseite?
Normseite
Um den Umfang von Texten abzuschätzen, kann die sogenannte Normseite verwendet werden. Diese ergibt sich aus der Festlegung von 30 Zeilen mit bis zu 60 Anschlägen inklusive Leerzeichen. Damit sind maximal 1800 Zeichen möglich.
Wie viel Wörter es in der Praxis genau sind, hängt von mehreren Faktoren ab wie der Sprache, Textkomplexität und vor allem von der Anzahl an Zeilenumbrüchen durch z.B. wörtliche Rede. Es hat sich gezeigt, dass bei realen deutschen Texten im Durchschnitt nur 83% der maximalen Zeichen ausgenutzt werden. Deshalb hat die Verwertungsgesellschaft Wort eine vereinfachte Version der Normseite mit 1500 Zeichen festgelegt.
Durchschnittl. Wortlänge und Wörter pro Normseite
Mit dem Duden als Grundlage liegt die durchschnittliche Wortlänge in der deutschen Sprache bei 10,6 Buchstaben. Wenn man aber bedenkt, dass kürzere Wörter viel häufiger verwendet werden, kommt man mithilfe des Dudenkorpus auf eine durchschnittliche Wortlänge von 5,99 Buchstaben. D.h, bei 60 Anschlägen geteilt durch 7 (6 plus 1 Leerzeichen) ergibt das unter nicht Berücksichtigung von zusätzlichen Satzzeichen 8,57 Wörter pro Zeile und somit 257 Wörter pro klassischer Normseite. Bei einem realen Text wären es bei einer geringeren Ausnutzung des Platzes von 83% lediglich 214 Wörter pro Normseite.
Wörter pro Seite bei einem realen Roman
Wenn du dir ein paar deiner Romane aus dem Bücherregal holst und nachschaust, wirst du feststellen, dass die Zeilenanzahl und die Zeichen pro Zeile oft mehr als die einer Normseite aufweisen und von Buch zu Buch teilweise sehr unterschiedlich ausfallen. Dafür wird, wie bereits erwähnt, der Platz häufig nie komplett ausgefüllt und auch dabei ist die Varianz manchmal groß. Wie zu erwarten war, gibt es den einen typischen Roman schlicht nicht. Es ist demnach kein Wunder, dass man im Netz meist unterschiedlichste Zahlen zu dem Thema findet.
Da die meisten Romanseiten größer als eine Normseite sind, können wir diese als untere Grenze annehmen. Für die obere Grenze gehen wir von 38 Zeilen, 10 Wörter pro Zeile und einer Platzausnutzung von 92% aus. Die wenigsten Romane werden darüber liegen. Damit erhalten wir für die allermeisten gedruckten Romane einen Bereich von rund 200 bis 350 Wörter pro Seite.
Maße des Lebensromans
Wie auf den ersten Blick erkennbar, fallen die Unterschiede zwischen vorkommenden Buchmaßen sehr groß aus. Scheinbar jede neue Buchreihe muss sich dabei von den bereits existierenden absetzen. Wir sind hier also in unserer Wahl relativ frei. Für unseren Lebensroman nehmen wir daher ein schönes und gut zu lesendes Hardcover-Format mit einer Breite von 14 cm und einer Länge von 21 cm an.
Da ein endlos dickes Buch zum Lesen ungeeignet ist, soll unser Lebensroman eine Buchreihe werden und jedem Buchband 1000 Seiten zur Verfügung stellen. Diese beachtliche Seitenzahl erscheint passend zu so einem kolossalem Werk. Außerdem lässt es sich damit später einfacher rechnen ;D
Auch bei der Seitendicke unterscheiden sich Romane teilweise stark. Während z.B. ein Roman mit 4,3 cm Dicke auf 460 Seiten kommt (9,3 cm bei 1000 Seiten), kann ein anderer mit 5,5 cm Dicke ganze 1260 Seiten aufweisen (4,4 cm bei 1000 Seiten). Wenn wir also nicht das dickste Papier, aber auch kein Seidenpapier in der Hand haben wollen, können wir für unsere 1000 Seiten gut und gerne 6 cm als Dicke wählen.
Die ganzen Ausmaße eines Lebensromans
Grundlage
Ausgehend von den zuvor ermittelten Daten können wir für die Berechnung Folgendes als Grundlage annehmen:
• Lesegeschwindigkeit: 250 Wörter pro Minute
• Lebenszeit: 35,5 Millionen Minuten
• Wörter pro Seite: 300
• Zeichen pro Wort: 7 Zeichen (6 plus 1 Leerzeichen)
• Maße eines Buchbandes: 14 x 21 x 6 cm bei 1000 Seiten
Hinweis: Die gewählten Zahlen sind nur Richtwerte, könnten also auch in einem gewissen Rahmen anders gewählt werden. Das Entscheidende bei den daraus folgenden Ergebnissen sind schließlich nicht die exakten Werte, sondern welche Größenordnungen wir am Ende erreichen.
Analoge Ausmaße
Aus der Lesegeschwindigkeit und der verfügbaren Lebenszeit erhalten wir für unseren Lebensroman die gigantische Zahl von 8,9 Milliarden Wörtern. Zusammen mit 300 Wörtern pro Seite bilden diese ca. 29,6 Millionen Seiten und damit 29.583 einzelne Buchbände. Das entspricht ungefähr dem kompletten Bestand einer typischen Stadtbibliothek in Deutschland.
Wenn wir all diese Bücher jeweils mit der Buchrückseite auf die Buchvorderseite aufeinander stapeln, entstünde ein Turm mit einer Höhe von 1775 Metern. Dichtgedrängt in einem riesigen Bücherregal mit 91 Reihen, 325 Büchern pro Reihe und einer Regalbrettdicke von 1 cm würden sie eine Fläche von rund 20 mal 20 Metern vereinnahmen.
Wenn wir mehrere Bücherregale in einem Kubus anordnen, können wir es noch weiter kompaktifizieren. Mit 18 Reihen, 66 Büchern pro Reihe und 25 Bücherregalen mit jeweils 2 cm Abstand zwischen den Regalen entsteht ein Würfel mit einer Seitenlänge von vier Metern. Auf diesem kompakten Raum würden wir das gesamte Leben eines einzigen Menschen vorfinden.
Digitale Ausmaße
Wer es lieber digital mag und noch mehr Platz sparen möchte, könnte versuchen, alles auf einem USB-Stick unterzubringen. Aber hätte dieser überhaupt genügend Speicher dafür?
Wenn wir von 8,9 Milliarden Wörter und durchschnittlich 7 Zeichen pro Wort ausgehen, erhalten wir mindestens 62,3 Milliarden Zeichen. Zusätzliche Satzzeichen wieder nicht mitgerechnet. Mit einer einfachen 8-Bit-Kodierung wie z.B. der ASCII-Erweiterung ISO 8859-1 benötigen wir dann 62.300.000.000 Bytes und damit 58 GB. Mit gängiger Textkompression kann man den Platzbedarf im Durchschnitt noch um 80% reduzieren; mit sehr spezialisierter Software sicher noch etwas mehr.
D.h., ein popliger USB-Stick könnte unser komplettes Leben beherbergen und hätte sogar noch Platz für einige Schnappschüsse. Heutzutage sind 10 bis 60 GB einfach nicht mehr so viel wie vielleicht noch vor 15 Jahren. Aber wenn man bedenkt, dass es sich hier lediglich um Text handelt und keine 4K-Videos, sind meiner Meinung nach zweistellige Gigabytes trotzdem eine ganze Menge.
Fazit
Wir haben gesehen, was für gewaltige Ausmaße ein Menschenleben in Schriftform hervorbringen kann. Dennoch bleiben noch einige Fragen offen, wie z.B.:
Wer soll jemals einen Lebensroman komplett durchlesen?
Wie lange würde es tatsächlich dauern, solch ein Werk niederzuschreiben und wo kann man jemanden dafür anheuern?
Welches Ausmaß würden alle Lebensromane aller jemals gelebten Menschen annehmen und würde der entsprechende Bücherturm bis zur Sonne reichen?
Spoiler: Bereits alle vollendeten Lebensromane der aktuellen 7,9 Milliarden Menschen würden ein Bücherregal von mindestens 1700 mal 1700 Kilometer füllen oder einen Bücherturm bilden, der mit seinen 14 Milliarden Kilometern fast 100 mal höher wäre als die Entfernung Erde-Sonne (150 Mio. km) oder etwas größer als der Durchmesser der Plutoumlaufbahn (11,8 Mrd. km). Natürlich nur angenommen, all diese Menschen würden durchschnittlich 81 Jahre alt werden. Aber was will man auch von einer Milchmädchen-Überschlagsrechnung erwarten.
Zumindest bleibt am Ende festzuhalten, dass die enorme Wörteranzahl eines Lebensromans unterstreicht, wie unterschiedlich und einzigartig jedes Menschenleben ausfällt. Dabei sollten wir jedoch nicht unentwegt versuchen, alles Erlebte festzuhalten und überall zu dokumentieren wie z.B. bei Social Media. Vielmehr ist es vielleicht gar nicht so schlimm, dass niemand jemals unser komplettes Leben lesen wird. Denn auf diese Weise wird es immer jene Momente im Leben geben, die ganz besonders sind und nur uns allein gehören. Genau solche Erlebnisse sollten wir sammeln und hüten, manchen Rest nicht so wichtig nehmen und anderes kann auch einmal getrost in den Müll geworfen und vergessen werden.
Hast du Anregungen, Fragen, Fehler gefunden oder würdest etwas komplett anders machen? Dann ab in die Kommentare damit. Ich freue mich immer über Feedback : D
Quellen
Lesegeschwindigkeit: Wikipedia, science.orf
Lebenserwartung: Statistisches Bundesamt
Träume: Wikipedia REM, Wikipedia Non-REM
Normseite: Wikipedia
Durchschnittliche dt. Wortlänge: Duden
Maße und Seitendicke von Romanen: Mein Bücherregal : P
Typische Bibliothek: Bibliotheksportal
Zeichenkodierung: Wikipedia ASCII, Wikipedia ISO_8859-1
Textkompression: Winzip, Wikipedia Brotli
Weltbevölkerung: Statista
Erdbahn: Wikipedia
Plutobahn: Wikipedia
Die perfekte Geschichte
„Ist es nicht erst dann perfekt, wenn es nicht komplett perfekt ist? Oder beruhigen sich so nur die Unbegabten?“, grübelte der alte Mann an seinem Schreibtisch und strich sich gedankenversunken durch seinen grauen Bart. Überall lagen Papierschnipsel mit unfertigen Texten verstreut. Mit einem Mal schlug die Haustür auf und eine ältere Dame betrat die Hütte.
„Ach, hier treibst du dich also die ganze Zeit herum“, begrüßte sie ihn forsch.
„Du kommst gerade ungelegen. Ich hab viel zu viel zu tun“, antwortete er, ohne sich umzudrehen.
„Ich hab dich draußen schon ewig nicht mehr gesehen“, meinte sie und näherte sich dem Schreibtisch. Argwöhnisch beäugte sie den überfüllten Arbeitsplatz und fragte: „Was ist denn so wichtig, dass du nicht einmal mehr deine alte Freundin besuchen kommst?“
Er blickte zu ihr auf und sagte: „Ich habe beschlossen, die perfekte Geschichte zu schreiben.“
„Ist das dein ernst? Nimmst du dir da nicht etwas zu viel vor?“, meinte sie belustigt.
„Zweifelst du etwa an meinen Fähigkeiten?“, fragte er streng.
„Oh nein, das nicht. Aber kann es überhaupt etwas Perfektes geben? Treten dabei nicht unweigerlich Paradoxien auf?“
„Das gilt es zu widerlegen. Und ich bin bereit, mich dieser Herausforderung zu stellen.“
„Na dann wünsch ich dir viel Glück dabei. Übertreib es bloß nicht“, sagte sie.
„Ja ja“, meinte er. „Keine Sorge, ich lass mich bald mal wieder sehen. Bis dahin.“
„Na gut, alter Griesgram“, sagte sie und verließ die Hütte wieder.
Doch wie sie bereits geahnt hatte, ließ er sich nicht blicken. Viel lieber schlug er sich unzählige Nächte um die Ohren, um weiter an seiner perfekten Geschichte zu arbeiten. Einige Wochen später, als sie des Wartens müde geworden war, kam die ältere Dame wieder vorbei.
„Hab ich mir’s doch gedacht, dass du dich nicht blicken lässt“, begrüßte sie ihn. Er antwortete nicht. Sie schaute zum Schreibtisch hinüber und entdeckte ihn mit dem Kopf, in seinen Armen eingebettet, auf dem Tisch liegen.
„Hat er sich wohl doch mal etwas Ruhe gegönnt?“, fragte sie sich.
Während sie noch überlegte, ob sie ihn wecken sollte, sagte plötzlich eine Stimme: „Ich hab schon mehr als die Hälfte geschafft.“
Sie fasste sich vor Schreck an die Brust.
„Meine Güte hast du mich erschrocken. Ich dachte, du schläfst.“
Er hob seinen Kopf und begann: „Seit wann…“
„Egal… arbeitest du wirklich immer noch an diesem perfekten Geschreibsel?“, fragte sie.
„Jaha, und es fehlt gar nicht mehr viel“, antwortete er. Sie schaute ihn skeptisch an und meinte: „Du kennst aber schon das Paretoprinzip? Dass 80% der Arbeit leicht von der Hand gehen und 20% der Arbeit 80% Aufwand mit sich bringen?“
„Natürlich, ich hab das schließlich erfunden“, sagte er und lachte.
„Ahja, dann schon mal danke dafür. Das ist nämlich echt nervig“, beschwerte sie sich. Daraufhin meinte er: „Alles hat seinen Platz und seine Berechtigung. Wenn es nicht so wäre, wie es ist, wäre es doch ganz schön unterkomplex und wahnsinnig langweilig.“
„Gerade deshalb solltest du am besten wissen, dass nicht immer alles perfekt sein muss“, konterte sie. Der Alte stand auf und machte eine ausladende Geste.
„Unperfektes gibt es wie Sterne im Universum. Wenn du etwas schaffen willst, das aus all dem heraussticht, muss es heller erstrahlen als der hellste Stern.“
Sie winkte ab und meinte: „Na Hauptsache du wirst irgendwann fertig.“
„Du wirst schon sehen. Es wird selbst dir die Sprache verschlagen“, sagte er und lächelte verschmitzt.
„Solange danach wieder alles wie immer wird, soll’s mir recht sein“, meinte sie und verdrehte die Augen.
Viele Wochen später bekam er erneut Besuch von seiner alten Freundin. Diesmal betrat sie die Hütte jedoch in einer erschütterten Eile, als wäre sie vor dem Teufel höchstpersönlich auf der Flucht.
„Sie kommen, sie kommen! Die Engel kommen!“, rief sie. Der Alte saß wie üblich an seinem Schreibtisch. Er drehte sich zu ihr und fragte ungläubig: „Die Dunklen? Die kommen doch sonst nur alle zehn Brahma-Jahre.“
Sie zeigte nach draußen und fragte: „Und, willst du sie nicht sehen?“
„Nein, ich hab Besseres zu tun. Ich bin nämlich kurz davor, mein Werk zu vollenden.“
„Aber, die Engel… die kannst du dir doch nicht entgehen lassen.“
„Beim nächsten Mal, mit Sicherheit“, sagte er und wandte sich ab.
Plötzlich klopfte es. Ein Engel mit dunklen Flügeln stand in der offenen Tür. Der Alte sprang erschrocken auf. Seine Freundin wich ehrfürchtig zur Wand zurück.
„Was wollt ihr hier?“, fragte der Alte harsch. Der Engel betrat die Hütte und antwortete: „Mein Herr, wir sind gekommen, um Sie abzuholen. Um Sie ins nächste Reich zu führen.“
„Das… das kann nicht sein. Ich bin hier noch nicht fertig“, sagte er entsetzt. Der Engel fuhr fort: „Es tut mir leid, doch so ist es. Und Sie werden…“
Da bäumte sich der Alte auf und schrie mit einer gottgleichen, bodenerzitternden Stimme: „ICH LASS MIR GAR NICHTS BEFEHLEN! ICH BIN SCHLIEẞLICH DAS ALPHA UND OMEGA!“
„Mein Herr, dessen sind wir uns bewusst. Doch jedes Wesen unterliegt Samsara – dem natürlichen Lauf des Wandels; auch Ihr“, versuchte ihn der Engel zu beschwichtigen.
„Ich…“, begann er.
„Ihr, der Ihr doch nahezu allwissend seid, seid Euch dem sicher bewusst“, fügte der Engel hinzu.
„Ja aber… aber ich bin noch nicht fertig“, sagte der Alte mit zittriger Stimme.
„Daran können wir nichts ändern. Dies lag stets nur in Eurer Hand.“
„Aber, es fehlt nicht mehr viel. Ich brauche nur etwas mehr Zeit“, versuchte er zu verhandeln.
„Als könnten wir den Fluss der Zeit verändern. Dies obliegt allein Samsara“, erwiderte der Engel.
„Wenn ich sie nicht fertigstelle, dann…“, begann der Alte und schaute zu seiner alten Freundin. Sie schaute traurig zurück und sagte: „Es tut mir leid, aber du weißt, ich bin nicht für deine Sphären verantwortlich.“
„Es ist Zeit. Kommt, mein Herr“, sagte der Engel und streckte ihm die Hand entgegen. Der Alte zögerte.
„Dann kann ich nur beten, dass es sich von selbst zum Guten vollendet.“
Er faltete seine Hände zusammen und schloss kurz die Augen. Eine Träne huschte über sein Gesicht.
„Nun gut, meine alte Freundin. Auf kein so baldiges Wiedersehen“, sagte er und nahm die Hand des Engels. Augenblicklich transzendierte der Engel mitsamt dem Alten in einem hellen Lichtblitz davon.
Was war zuerst?
Rosen sind röt
Veilchen sind lau
Bist du blöd?
Es heißt rot und blau
Aber sonst hätten wir keinen Reim
Und der Dialog wäre nicht gekeimt
Niemand geht dir auf den Leim
Ich bin doch der, der hier reimt
Du verdrehst die Kausalität
Ich seh voraus, was du brauchst
Es ist eher wie ein Blind-Date
Oder wie wenn du eine rauchst
Du meinst, es geht Hand in Hand?
Wie ein rotes Band
Wo der eine nicht ohne den anderen kann
Ein Gedicht als zeitloser Bann
Geld in der Zukunft
Die Wirtschaft der Zukunft funktioniert ein bisschen anders. Sehen Sie, im 24. Jahrhundert gibt es kein Geld. Der Erwerb von Reichtum ist nicht mehr die treibende Kraft in unserem Leben. Wir arbeiten um uns selbst zu verbessern – und den Rest der Menschheit.
Jean-Luc Picard (24. Jh.) – Captain der Raumschiff Enterprise
Der Gott des Todes und der Tor
Ein Tor besuchte einst den Schrein Katox‘ – Gott des Todes und der Krankheit. Er kniete sich vor diesem nieder und bat ihn, er möge ihm ein langes Leben schenken. Augenblicklich erschien Katox vor dem Tor. Dieser griff erschrocken an seine Brust. Nicht nur aus Furcht, sondern auch um sich sicher zu sein, dass er noch am Leben war.
„So so, betest zu mir und bist doch kerngesund. Verhöhnst das Leben, unwissender Tor.“
Der Tor versuchte sich zu erklären, doch Katox duldete es nicht: „Jetzt bringt dich deine Gier ins Reich der Toten.“
Der Tor klammerte sich an den Schrein des Gottes und wimmerte wie ein geschlagener Hund.
„Nun sag mir, wovor fürchtest du dich so? Doch nicht etwa des Schmerzens wegen? Ist er doch in einem Wimpernschlag vorbei. Ich kann dir versichern, er wird nicht schlimmer sein als ein Speer im Leib.“
Der Tor wagte es nicht zu sprechen.
„Sag mir nicht, dass es das Unbekannte ist, was du fürchtest. Dann müsstest du vor jeder Hausecke vor Angst zusammenbrechen. Weiß doch keiner, was der nächste Tag mit sich bringt.“
Der Tor wagte es nicht zu sprechen.
„Was bleibt uns noch, was bleibt uns bloß? Ein selbstsüchtiger Tor, wie du einer bist, hast wohl kaum Angst um Familie oder Freunde. Nein.“
Der Tor wagte es nicht zu sprechen.
„So wimmerst du um Wein, Bier und Heiterkeit? Bei meiner selbst, das kann nicht sein. So geh’n doch Freud und Leid seit jeher nie getrennte Wege.“
Der Tor wagte es nicht zu sprechen.
„Was bleibt uns noch, was bleibt uns bloß? So fürchtest du das Ende selbst? Hast Angst den letzten Gedanken zu erleben? Fürchtest dein Bewusstsein ganz zu verlieren? Dann nicke schnell, sonst hol ich dich.“
Der Tor nickte.
„So willst du nicht ins Reich der Toten? Willst ewig Denken und Erleben? Dann nicke schnell, sonst hol ich dich. Sonst bring ich dich ins Reich der Toten.“
Der Tor nickte.
„Nun denn, so wandle ewig hier auf Erden.“
Katox schnippte mit den Fingern und der Tor schied dahin.
Das kürzeste Gedicht der Welt
Inhalte
1. Kurze Gedichte
2. Das kürzeste Gedicht
3. Stille Kunst
4. Nichts?
5. Quellen
Kurze Gedichte
Viele Künstler haben sich bereits an einem möglichst kurzem Gedicht versucht. Haikus besitzen bekanntlich nur drei Zeilen und zählen somit als die kürzeste Gedichtform. Dabei müssen sie normalerweise stets die Struktur von 5, 7 und 5 Lauteinheiten einhalten. Ein kurzer Dreizeiler (aber kein Haiku) von mir mit dem Titel „Klimawandel“:
Ist nur ne Farce
Oh, das wars
Dann auf zum Mars
Manche Gedichte sind noch kleiner und bringen es sogar auf nur drei Wörter wie z.B. „Fleas“ (Flöhe):
Adam
Strickland Gillilan
Had ‚em.
Dabei zählen wir ausnahmsweise den Titel nicht mit. Als Muhammad Ali 1975 nach „Fleas“ dem bis dato kürzesten Gedicht der Welt gefragt wurde und was er davon halte, antwortete dieser:
I’ve got one: Me. We.
Er knüpfte damit perfekt an „Fleas“ an und erschuf ein neues Gedicht aus lediglich zwei Wörtern. Ohne den Kontext ist es etwas schwierig einzuordnen, aber das ist bekanntlich bei vielen Gedichten der Fall.
Das kürzeste Gedicht
Gibt es noch kürzere Gedichte? Wie wäre es mit bloß einem Wort oder noch weniger? Dann kann es sich ja nicht mehr reimen, wird der ein oder andere anmerken. Laut Definition müssen Gedichte das aber auch gar nicht:
Poesie ist eine Form der Literatur, die ästhetische und rhythmische Eigenschaften der Sprache – wie Phonästhetik, Klangsymbolik und Metrik – nutzt, um mehr zu bedeuten, als es das sonst tun würde.
Frei übersetzt von Wikipedia
Meine Versuche eines sehr kurzen Gedichtes:
A bee
Has to pee
On your knee
2 L8
Im Englischen hieße dies: „Too late“
N8
Ausgeschrieben als „Nacht“ können alle darin vorkommenden Wörter nacheinander folgenden Reim bilden: „Nacht nach Acht.“
Gut, ich geb’s zu. Mit den Zahlen habe ich ein bisschen geschummelt, aber was tut man nicht alles für die Kunst.
Laut Guinness-Buch der Rekorde ist bzw. war das offiziell kürzeste Gedicht von Aram Saroyan folgendes: Es ist eine vierbeinige Version des Buchstabens „m“. Dazu gibt es zwei schon etwas schräge Interpretationen:
Das Gedicht spielt mit der Bildung eines Alphabets, als ob sich „m“ und „n“ gerade trennen würden.
Frei übersetzt von Wikipedia
Es ist ein Wortspiel bezogen auf „I am“, welches die Entstehung eines Bewusstseins selbst impliziert.
Nachdem immer mehr Künstler in verschiedenen Bereichen versuchten noch kürzere Rekorde zu erreichen, stellte das Guinness-Buch der Rekorde diese Kategorie mit folgender Begründung ein:
Die Natur des Wettbewerbs um etwas, das von seiner Natur her das Kürzeste ist, trivialisiert die ausgeführte Tätigkeit…
Unabhängig von offiziellen Anerkennungen ist mein Favorit jedoch das Gedicht von J. W. Curry:
i
Hierbei handelt es sich um das englische „i“ (Ich), wobei er bei dem realen Gedicht den i-Punkt mit seinem Fingerabdruck erstellt hat. Das „i“ ist somit nicht irgendein Ich, sondern J. W. Curry und nur er ganz allein und niemand sonst.
Ich habe mich auch einmal an einem Gedicht mit nur einem Buchstaben versucht:
O
„Ohhh“ als ein Ausspruch, der ewig anhält, denn ein Kreis ist schließlich endlos.
Aber was könnte eine so langanhaltende Reaktion verursachen? Die ständige neue Verwunderung oder das Erstaunen über den stetigen und ewigen Erkenntnisgewinn der Menschheit? Oder Begeisterung darüber, dass Lebewesen in so einem sonst trostlosen Universum die Chance bekommen für sich selbst das Glück zu suchen?
Such dir etwas von den tausend möglichen Interpretationen aus. Dabei muss ich zugeben, es wirkt schnell sehr weit hergeholt und ohne Zusammenhang verliert sich die Bedeutung.
Stille Kunst
Geht es noch kürzer? Tatsächlich gibt es ein Gedicht von R. W. Watkins, welches lediglich aus drei leeren Zeilen besteht, um darin etwas hineinschreiben zu können. Es hat zwar einen Titel „Le Vide (for Yves Klein)“, was so viel wie „Die Leere“ bedeutet, aber das unterschlagen wir einfach mal geschickt…
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Dasselbe Phänomen gibt es in der Musik. Es existieren eine Reihe von Songs, welche keinen einzigen Ton enthalten, sondern nur Stille. Aber zählt so etwas noch als Kunstwerk oder Gedicht? Immerhin kann Stille im richtigen Kontext ihre eigene Magie entfalten. Sei es bei der Mondbeschau oder den Blicken zweier Liebenden. Wenn Stille für sich steht, kann sie weiterhin eine starke Wirkung entwickeln, dies hängt jedoch stark vom Leser selbst ab. Das ist bei Haikus aber ebenfalls oft der Fall.
Nichts?
Nun bleibt die Frage, ist noch weniger als Stille möglich? Gibt es weniger als Nichts? Stille beinhaltet immer noch die Möglichkeit des Füllens. Sei es durch Musik, Sprache oder dem Füllen leerer Zeilen. Was aber wenn das Medium, dessen man sich bedienen möchte, selbst fehlt? Damit wäre es nicht einmal mehr möglich etwas darauf zu schreiben.

Ein Loch im Papier wäre für den Schriftsteller demnach das absolute unveränderliche Nichts. Falls dir das alleine als Besonderheit nicht reicht: Das Loch wurde ironischerweise mit meinem eigenen Schreibgerät erzeugt, welches damit sein nötiges Medium und seine eigene Grundlage selbst zerstört hat. Zudem ist das Interessante an einem unveränderlichen Nichts, dass so etwas in der physischen Realität eigentlich nicht vorkommt. Es kann nur in unseren Köpfen existieren. Wir Menschen erschaffen damit also ein allerkleinstes Kunstwerk mit unserer Vorstellung, wozu niemand sonst in der Lage wäre.
Wie du siehst kann das Spielen mit Wörtern unglaublich viel Spaß machen. Und hast du jetzt selber Inspiration für ein kurzes Gedicht bekommen? Dann schreib deine Idee doch als Kommentar. Ich bin gespannt.
Quellen
„Shortest Poem“ von Vsauce (Video)
Wikipedia Haiku
Wikipedia Shortest Poem
Wikipedia Aram Saroyan
Wikipedia Poetry
Freier Wille?
Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.
Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) – Philosoph und Autor, Begründer des Subjektiven Idealismus‘
Wissen
Der größte Feind des Wissens ist nicht Ignoranz, sondern die Illusion, wissend zu sein.
Stephen Hawking (1942 – 2018) – Ikone der theoretischen Physik und Kosmologie, Verfasser der weltbekannten Bücher „Eine kurze Geschichte der Zeit“ und „Das Universum in der Nussschale“
Schicksal
Mir ist aufgefallen, dass selbst Menschen, die behaupten, alles sei vorherbestimmt und dass wir nichts dagegen tun können, nach rechts und links schauen, bevor sie die Straße überqueren.
Stephen Hawking (1942 – 2018) – Ikone der theoretischen Physik und Kosmologie, Verfasser der weltbekannten Bücher „Eine kurze Geschichte der Zeit“ und „Das Universum in der Nussschale“